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Heurigenpassion

Heurigenpassion

Titel: Heurigenpassion
Autoren: Pierre Emme
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eigentlich auch selber draufkommen können«, stellte Wallner fest und Palinski konnte ihm nur recht geben.
    Aber Geyer hatte noch mehr zu bieten. »Ein echter Neo würde sein Opfer auch kaum fesseln und dann in einen Container werfen. Der hätte die Frau einfach liegen gelassen. Wer immer das getan hat, hat meiner Meinung nach ganz bestimmte persönliche Gründe dafür gehabt. Mit »Ausländer raus« und so hat das hier nichts zu tun.«
    Wallner dankte Geyer für seine Kooperation, dann war der stellvertretende Bildungsreferent der »Freien Gewerkschaft« auch schon wieder entschwunden.

     
    * * *

     
    Franca Aigner saß in ihrem Büro im Kommissariat Josefstadt und versuchte, die Maßnahmen der einzelnen Gruppen zu koordinieren, die an der Aktion »Babysuche« beteiligt waren und inzwischen insgesamt mehr als 400 Polizisten und zivile Helfer umfassten.
    Die Suche lief jetzt bereits seit mehr als vier Stunden. Zu sagen, der ganze Aufwand sei bisher vergebens gewesen, würde nicht stimmen. Immerhin waren bereits mehr als die Hälfte der bis jetzt eingegangenen Hinweise, fast 300 an der Zahl, bearbeitet und sogar drei Anzeigen wegen grober Vernachlässigung der elterlichen Aufsichtspflicht erstattet worden. Dem eigentlichen Ziel, nämlich diesen ganz bestimmten Säugling zu finden, war man aber noch keinen Schritt näher gekommen.
    Eben hatte Franca mit dem Fernsehen eine Modifizierung des Textes der nach wie vor stündlich erfolgenden Sondermeldung besprochen, die allerdings bereits in eine durchgehende Berichterstattung der »Aktuellen News« eingebettet worden war. Es hatte keinen Sinn, jedes Babyschreien der Polizei zu melden. Meistens stellte sich in der Folge heraus, dass das Baby nur protestiert hatte, weil die Mama zu lange duschte oder in der Küche Kaffee machte und der Papa zu faul war, seinen Hintern von der Übertragung der »Vierschanzentournee« wegzubewegen. Es war durchaus sinnvoll, auch diese Eltern an ihre Verantwortung zu erinnern. Aber nicht heute, wo es möglicherweise um das Leben eines zwei Monate alten Kindes ging.
    Immerhin konnte Franca erreichen, dass die Durchsage um die Bitte ergänzt wurde, nach Möglichkeit zuerst die näheren Umstände des Babyschreiens auszumachen und erst dann die Polizei zu informieren. Falls das dann noch als notwendig erachtet wurde.
    Ihr Versuch, über die Krankenhäuser in Wien und Umgebung einen Hinweis auf eine in Frage kommende Entbindung zu bekommen, scheiterte erwartungsgemäß am Datenschutz und dem Arztgeheimnis. Die Beschaffung des erforderlichen Gerichtsbeschlusses würde vor allem auch wegen des Feiertages viel zu lange dauern. So konnte sie nur hoffen, dass ihr flammender Appell an ihre Gesprächspartner, angesichts der für den Säugling langsam möglicherweise lebensbedrohenden Situation zu helfen, vielleicht doch noch Früchte tragen würde.
    Wie auch immer, die Zeit drängte. Im schlechtesten Fall, und von dem musste ausgegangen werden, war das Baby jetzt bereits sechzehn Stunden alleine und niemand hatte ihr bisher sagen können oder wollen, wie lange das noch gut gehen konnte.
    Franca war zum Heulen zumute, warum auch nicht. Das entsprach durchaus der Situation. Nachdem sie ihren Tränen freien Lauf gelassen hatte, fühlte sie sich allerdings nicht wirklich besser.

2
    Der traditionelle Neujahrsempfang bei den Bachlers war schon immer eine fürchterlich langweilige Angelegenheit gewesen. Die Anwesenheit ausnahmslos aller Familienmitglieder sowie der besten Freunde des Hauses wurde stillschweigend vorausgesetzt, als Entschuldigung nur schwere Erkrankung oder unaufschiebbare Verpflichtungen im Ausland akzeptiert. Da der Hausherr Jurist und seine Frau Medizinerin waren, gingen leichtfertig vorgebrachte, nicht ausreichend fundierte Ausreden regelmäßig in die Hose. Dennoch schafften es einige clevere Angehörige hin und wieder, just am ersten Tage des Jahres zu wichtigen Besprechungen in Rio, Anchorage oder auf Bora Bora sein zu müssen. Ohne damit den nachhaltigen Zorn ihrer »Exzellenzen« auf sich zu ziehen.
    Der Em. Prof. Dr. Dr. Wilfried Bachler stammte aus einer altösterreichischen Familie, die ihre Wurzeln in Brünn hatte. Die traditionelle Berufslaufbahn der männlichen Nachkommen des nach der Schlacht von Königgrätz zum Freiherrn avancierten Rittmeisters Bachler war vorbestimmt: Der erste Sohn wurde Offizier, der zweite Jurist und der dritte Priester. Diese Tradition wurde aber nur bis zum Niedergang der Monarchie beibehalten.
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