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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub
Autoren: Monika Buttler
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nicht.
     
    Durch die Oberlichtfenster fielen die Strahlen der Oktobersonne in den großen Sektionssaal des Instituts für Rechtsmedizin. Goldenes, lebenssprühendes Licht traf auf die wächsern-bleiche Gestalt, die auf einem der Stahltische lag. Für Doktor Hajo Urban war es ein Tag wie jeder andere. Im grünen Kittel und in Latexhandschuhen hatte er die Tote untersucht und begann nun, das Protokoll der äußeren Leichenschau auf sein Diktiergerät zu sprechen. Er war ein Mann in mittleren Jahren und so kahlköpfig, dass man ihn unwillkürlich für komplett haarlos hielt. Bei seinem bulligen, muskulösen Anblick war Werner Danzik damals das Wort ›Schlächter‹ eingefallen. Doch wie sah ein Schlächter aus, hatte er überlegt, und im selben Moment war ihm klar geworden, dass er sich auf das gefährliche Terrain grober Vorurteile begeben hatte. Tatsächlich lag Doktor Urban nicht nur jeder Zynismus fern; er war im Gegenteil ein zugänglicher, kumpelhafter Typ, der den Ermittlern seine Ergebnisse ohne hochmütiges Zögern verständlich rüberbrachte.
    Durch die sich automatisch öffnende Stahltür betrat Hauptkommissar Werner Danzik den Sektionssaal und ging auf Doktor Urban zu. Der hob den Blick und wies freundlich bedauernd auf sein Tonbandgerät, dann diktierte er weiter. Danzik zog sich an die grün verflieste Wand zurück und wartete. Er krauste die Nase. Ein leicht süßlich-fauliger Geruch lag in der Luft, oder bildete er sich das nur ein? Immerhin arbeiteten die modernen Klimaanlagen höchst effizient, auch geputzt wurde wie verrückt. Aber da drüben lag eine Leiche, die Bauchhöhle war geöffnet … Der Kommissar hielt versuchsweise den Atem an, aber es half ja nichts, er musste da durch, ein Gewöhnen gab es nicht. Jedenfalls nicht für ihn. Fast bedauerte er, dass er jetzt wieder riechen konnte. Im Frühling, als nacheinander sämtliche Pollen ausgeflogen waren, von Erlen über Haselsträucher bis zu Birken, hatte er so heftige Allergieausbrüche gehabt, dass die geschwollenen Schleimhäute keinerlei Gerüche mehr aufgenommen hatten. Aber jetzt war Oktober, die Luft frisch und klar, und mit dem zurückgekehrten Riechvermögen machte ihm auch das Kochen wieder Spaß. Er sollte vielleicht mal Tagliatelle mit Lachs und Austernpilzen …
    Ein Blick zum Stahltisch riss ihn in die professionelle Realität zurück, und er spürte ein Würgen hochkommen. Er musste sich auf seinen Fall konzentrieren. Auf Celia Osswald, die nun bereits im Kühlfach lag. Sie hatte das Gigantischste mitgemacht, das man sich vorstellen konnte: Das einzige Organ, das man im Körper spüren konnte, ein schlagendes Herz, hatte man ihr eingepflanzt. Das Herz eines Fremden. Und ihr zuvor das eigene kranke weggenommen. Wie das wohl war, wenn man für Minuten ein Mensch mit einem ›Loch‹ war, ein ganz und gar ›herzloser‹ Mensch? Bei einer Herzverpflanzung zuzuschauen, sinnierte Danzik, wäre das nicht genauso schwer wie an einer geöffneten Leiche zu stehen? Nein, ohnmächtig werden würde er sicher nicht, aber der Magen …
    In dem Moment drückte Doktor Urban auf die Aus-Taste.
    „Na, Werner, du bist ja ganz blass um die Nase.“
    „Ach, was. Nur zu viel Bürohockerei. Ich müsste mal wieder Luft tanken.“ Der Kommissar sah fragend auf die junge Tote.
    „Eine Selbstmörderin“, sagte Urban. „Hat ziemlich lange in der Wohnung gelegen.“
    Danzik machte wieder ein paar Schritte zur Wand, Doktor Urban folgte ihm.
    „Nun zu deinem Fall. Bei unserer Untersuchung waren die Leichenflecken nicht mehr wegdrückbar, die Leichenstarre war bereits in Lösung begriffen. Das heißt: Frau Osswald wurde vor mindestens zwei Tagen ermordet.“
    „Wurden äußere oder innere Verletzungen festgestellt?“
    „Nein, keinerlei Verletzungen, keine Gewaltspuren. Das heißt…“
    „Das heißt?“
    „Lediglich ein paar Schürfspuren an der Wange. Die sind wahrscheinlich entstanden, als man sie durchs Gebüsch geschleift hat. Aber da war sie bereits tot. Sie ist jedenfalls nicht am Fundort umgebracht worden.“
    „Und das Herz?“ Danzik fragte es tastend, vorsichtig, als könne er noch nachträglich etwas kaputt machen. Gleichzeitig wurde ihm das Unpräzise seiner Frage bewusst.
    „Ist nach dem Mord rausgeschnitten worden. Ob am Tatort oder woanders, das musst d u rausfinden. Am Fundort wurde die Leiche jedenfalls nur abgelegt.“
    „Und wie wurde der Schnitt geführt? Könnte es jemand sein, der beruflich damit zu tun hat?“
    „Nein, eher
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