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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub
Autoren: Monika Buttler
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ein massiger, halsloser Typ von Mitte fünfzig, die graublonden Haare trug er militärisch gescheitelt, passend zu dem festlichen Anlass hatte er sich in Schwarz mit roter Fliege gekleidet.
    Der Professor verbreitete sogleich eine beruhigende, jovial gute Laune. „Na, Kinderchen, alle gut drauf?“
    „Frau Osswald ist noch nicht da!“ Die Stimme der kleinen, mageren Muriel, einer Studentin mit braunschwarzen Kulleraugen, klang kläglich.
    „Nur ruhig Blut, meine Herzblätter. Eine Diva darf auch mal zu spät kommen.“ Der Professor spähte zu den Tabletts mit den Weingläsern hinüber, griff dann aber in seine Jackett-Tasche.
    „Aber, Herr Professor!“ Die fette Stimme neben ihm gehörte seiner Oberschwester, einer blondierten Frau um die fünfzig, die ihre Rundlichkeit unter einem nachtblauen Seidenensemble versteckt hatte. Korte zuckte zusammen und ließ die Pall-Mall-Packung in die Tasche zurückgleiten. Im selben Moment fiel sein Blick auf Laura Flemming, und er breitete die Arme aus.
    „Da sind Sie ja, meine Liebe. Kommen Sie, kommen Sie!“ Er nahm die Journalistin an der Schulter und schob sie auf seine Schützlinge zu. „Ich hab ja schon davon erzählt: Das ist Frau Flemming, eine Wissenschaftsjournalistin, die ein Sachbuch über die Transplantationsthematik vorbereitet. Also, dann gebt der Dame mal ordentlich Futter!“
    Korte bedachte die Gruppe mit einem letzten, aufmunternden Blick, dann strebte er den Rotweingläsern zu.
    Laura stellte ihr Aufnahmegerät auf einen Stehtisch, bat die drei Frauen und die drei Männer, sich um sie zu scharen und notierte ihre Namen.
    „Hier!“ Die magere Muriel zog mit blitzenden Augen eine Autogrammkarte aus ihrer Schultertasche und hielt sie der Journalistin entgegen.
    „›Meiner lieben Muriel – herzlich gewidmet von Celia Osswald‹“, las sie vor. Die erste Silbe von ›herzlich‹ war gemalt. „Wirklich sehr süß“, bekräftigte Laura Flemming.
    „Muriel will ein großer Star werden“, spottete Hans-Peter, ein älterer, bebrillter Mann mit hängenden Schultern. „Und mindestens so berühmt wie die Osswald. Tja, in ihr schlägt jetzt ein Schauspielerherz.“
    „Und du bist ein trostloser Zyniker geworden.“ Bernd, ein breit gebauter, durchtrainierter ehemaliger Sportlehrer, knabberte schon an der zweiten Schokoladentafel. „Der war früher Diakon“, wandte er sich an die Journalistin, „jetzt hört man ihn nur noch lästern und fluchen.“
    Laura Flemming sah auf das Band, das sich regelmäßig voranspulte. Alles unter Kontrolle. Das war ja phantastisch, was hier so zutage kam. Hatten die etwa alle die Eigenschaften ihrer Spender angenommen?
    „Und ich fress nur noch Süßigkeiten“, sagte Bernd, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Hier“ – er wies auf seinen Bauch – „Mister Universum kriegt Fettrollen.“
    „Und Sie Eddy? Haben Sie sich auch verändert?“
    „Überhaupt nicht. Alles Quatsch. Ich bin und bleibe Autohändler.“ Der stämmige Mann mit dem dichten, grauen Haar spielte an seiner goldenen Rolex. „Klar, vor einem Jahr, als ich am Abkratzen war, da war mein Herz sozusagen ein Kleinwagen. Und jetzt fahr ich wieder Porsche. Weil ich eben gesund bin.“
    „Komm Darling, wir wollten doch tanzen.“ Andrea, eine Rothaarige mit breitem Mund, zirka Mitte dreißig, fasste nach Eddys Handgelenk. Sie hatte bisher nur wenig gesagt und stattdessen unaufhörlich auf der Stelle getänzelt.
    „Dann viel Spaß!“ Laura sah ihnen lächelnd nach.
    „Ja, das ist Leben.“ Dorothea, eine Hausfrau mit braungrauer Dauerwelle, lächelte matt. Sie hielt ihr Glas wie mit letzter Kraft umklammert, ihr Rücken beugte sich über den Tisch, als wolle sie ihr Herz vor etwas schützen.
    „Dorothea glaubt, dass sie ein Schrottherz gekriegt hat.“ Hans-Peter blickte die Journalistin provozierend an.
    „Lass das!“ Bernd legte den Arm um die blasse Frau.
    „Ja, ein krankes Herz. Ich werde bald sterben.“ Dorotheas Stimme war nur noch ein Flüstern, und Laura Flemming atmete auf, als jetzt in voller Dröhnung Rockmusik einsetzte.
    Die Spenderfamilien würde sie in ihren privaten Wohnungen interviewen, die Visitenkärtchen hatte sie schon in der Tasche. Nun, dieses medizinische Thema war eine Auftragsarbeit, und sie hatte noch nicht besonders intensiv darüber nachgedacht. Aber in so einem lärmigen Umfeld Eltern über den Todestag ihrer verunglückten Söhne und Töchter zu befragen, das schien auch ihr, der toughen Journalistin,
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