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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub
Autoren: Monika Buttler
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Lebendnierenspende seine eigene Schwester gerettet hatte, hatte den Wintergarten ebenso sinnig wie geschmackvoll dekorieren lassen: Blutrote Lampions in Herzform schaukelten sanft über den Korbmöbel-Gruppen, Stoffbahnen im Herzmuster-Rapport bedeckten bodenlang die Tische, rote Servietten ragten aus herzförmigen Lalique-Väschen. Damit hatte man zwar viele Empfänger benachteiligt, aber Nieren, Lebern und Hornhäute waren als Lampions eben nicht zu bekommen.
    Die Herzempfänger standen vorerst in einem Nebenraum an Stehtischen beieinander, gaben aber mit Stickern sich und ihre Sonderstellung zu erkennen. Sie sogen in kurzen Abständen an ihren alkoholfreien Cocktails, sodass die Kellner schon vor der Eröffnungsrede für Nachschub sorgen mussten. Die Spenderfamilien drängten sich, noch ohne miteinander bekannt zu sein, an den übrigen Stehtischen zusammen. Einige dämpften ihre Nervosität, indem sie immer wieder um den großen Mitteltisch schlenderten, auf dem eine überdimensionale Torte in Herzform mit einer cremigen ›ZWEI‹ arrangiert war.
    Es lag die Unruhe von etwa vierzig Personen in der Luft, und alle fragten sich, wann wohl Celia Osswald der Warterei ein Ende machen und ihren Auftritt zelebrieren würde.
    „Komisch, ich habe jetzt selber Herzklopfen.“ Die verhärmte, etwa vierzigjährige Frau mit den gelbblonden Haaren warf ihrem Mann einen hilflosen Blick zu. „Wenn ich denke, dass unser Sven vielleicht hier ist, im Körper von einem der Leute da drüben …“
    „Das ist doch ein gutes Gefühl. Schau mal, wie gesund die alle aussehen.“
    „Diese Spekulationen führen zu nichts“, schaltete sich neben ihnen ein älterer Mann mit blondem Kinnbart ein. „Ich habe meinen Bruder zur Spende freigegeben, aber der Empfänger muss ja nicht grad auf dieser Party rumlaufen. Im Übrigen sind viele Empfänger längst tot, das sagt man uns nur nicht.“
    „Wirklich?“ Die Verhärmte bekam einen erschreckten Ausdruck.
    „Gut, dass das Ganze anonym bleibt.“ Ihr Mann griff entschlossen nach seinem Glas.
    „In Deutschland, ja“, sagte der Bärtige. „Aber in Amerika, da gab es sogar eine Talkshow, wo Spenderfamilien und Empfänger zusammengeführt wurden. Und die Empfänger trugen ein Foto mit dem verstorbenen Spender am Revers. Muss ziemlich herzzerreißend gewesen sein.“
    In dem Moment trat ein kleiner, korpulenter Herr hinters Mikrofon und hieß die Gäste im Namen der DSO, also der ›Deutsche Stiftung Organtransplantation‹, willkommen. Er drückte gekonnt auf die Gefühls-
tube, sprach von Taten der Nächstenliebe, von der Chance auf ein neues Leben, von einem kostbaren Geschenk und unendlicher Dankbarkeit, und man konnte bemerken, dass tatsächlich die eine oder der andere eine Träne wegdrückte. Nein, auf Frau Osswald wolle man nun nicht mehr warten, sie würde mit Sicherheit dem Fest ein wenig später Glanz verleihen, doch nun – „Verehrte Gäste, das Buffet ist eröffnet.“
    Der Discjockey legte als Hintergrund eine Musik ein, die einige Ältere als ›Liebling, mein Herz lässt dich grüßen‹ identifizierten. Im Übrigen wurde die musikalische Ouvertüre jetzt vom Lärm klappernder Bestecke, scharrender Füße und raunender Kommentare überlagert.
    Natürlich war auch die Presse vertreten. Die attraktive Journalistin und der Fotograf lehnten noch immer an den Stehtischen. Sie: ein mädchenhafter Typ, langbeinig, mit blond gesträhnten Haaren, die für eine Frau von Ende vierzig vielleicht ein wenig zu lang waren. Er: schlaksig-groß, dunkel, mit Drei-Tage-Bart und mindestens fünfzehn Jahre jünger als sie.
    Laura Flemming ließ ihren Kugelschreiber auf- und zuschnappen. „Wir sollten jetzt irgendwie anfangen. Dann mach ich das Interview mit der Osswald eben am Schluss.“
    „Ich hab schon ein paar Motive geschossen.“
    „Geschossen!“ Laura Flemming schüttelte den Kopf. „An diesen Ausdruck werde ich mich nie gewöhnen.“
    „Wenn ihr Schreiber ›knipsen‹ sagt, kann man aber auch zu viel kriegen!“
    „Mein lieber Jan, so unprofessionell bin i c h aber nicht.“
    „Stimmt.“ Der Fotograf erwiderte ihren gekonnten Augenaufschlag mit einem Lächeln. „Also, auf geht’s.“
    Laura überlegte gerade, auf welche Gruppe sie zuerst zusteuern sollte, als ein vielstimmiges „Ah!” alle aufhorchen ließ. Herztransplanteur Professor Doktor Günther Korte sprang die Stufen zum Wintergarten hoch und eilte ›seinen‹, ihm heftig applaudierenden Empfängern entgegen. Er war
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