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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub
Autoren: Monika Buttler
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nicht. Der Schnitt wirkt sehr laienhaft, das Messer wurde auch immer wieder abgesetzt. Obwohl der Täter sich bemüht hat, an der Operationsnarbe langzuschneiden. Das heißt, oben vom Brustbein bis senkrecht hinunter zum Bauchnabel.“ Urban begann, sich einen Handschuh abzustreifen, hielt dann aber inne. „Willst du das sehen?“
    Danzik winkte ab. „Ich glaub, das bringt jetzt nichts.“ Alles in allem war er ein wenig enttäuscht. Nun musste er sich weiter in Geduld üben.
    Urban griente ihn an. „Wir müssen jetzt die Ergebnisse der histologischen und toxikologischen Untersuchungen abwarten.“
    „Und wann krieg ich den Bericht?“
    Doktor Urban zog endgültig die Handschuhe ab und ging zu den Waschbecken.
    „Gestern, gestern …“, summte er aufgeräumt. „Mein lieber Werner, das weißt du doch: übermorgen.“
    Danzik hob die Hand. „Aber klar doch. Ciao, Hajo.“
     
    Es war an der Amsinckstraße passiert. Augenzeugen berichteten, dass der Motorradfahrer mindestens hundert, wenn nicht mehr drauf gehabt habe. Der sei so über die Piste gebrettert, dass es nicht zu überhören gewesen war. Dann ein furchtbarer Krach, ein Knallen, der Mann sei gegen die Leitplanke gedonnert.
    „Typisch. Diese Jugendlichen müssen immer übertreiben“, sagte jemand. „So schnell zu fahren, heißt doch das Schicksal herausfordern.“
    „Die können einfach nicht fahren. Ältere fahren sowieso besser. Sehen Sie sich mal die Statistik an.“
    „Ja, klar. Diese Jugendlichen haben grad ihren Führerschein gemacht, und dann rasen sie los.“
    „So jung ist der aber nicht. Der muss doch schon Mitte zwanzig sein.“
    „Sicher hatte der Alkohol intus.“
    „Oder Drogen.“
    „Es könnte ja auch Verzweiflung gewesen sein“, schaltete sich eine ältere Dame ein. „Pure Verzweiflung. Was wissen wir denn, was so ein Mensch für Probleme hat.“
    Vom Straßenrand aus hatten die Zeugen gesehen, wie der junge Fahrer und das Motorrad hingestürzt nebeneinander lagen. Einer hatte per Handy die Rettung alarmiert, dann hatte man sich schaulustig auf dem Bürgersteig versammelt. Der rote Rettungswagen war inzwischen eingetroffen, drei Polizeiwagen schirmten quergestellt die Unfallstelle ab. Der Verkehr floss in der verbliebenen Spur weiter, etwas zu langsam, da die meisten Autofahrer, den Hals verrenkend, hinüberstarrten. Doch nun wurde der leblos Daliegende den Blicken entzogen und in den Rettungswagen getragen. Wie sich zeigte, waren die Verletzungen gravierend, ja, lebensbedrohend. „Schwerstes Schädelhirntrauma“, diagnostizierte der Notarzt. Mit Elektroschocks und künstlicher Beatmung versuchte das Team, den jungen, etwa 25-jährigen Mann am Leben zu halten. Der Notarzt hatte sofort das Sankt-Ansgar-Krankenhaus angerufen, die Intensivstation möge sich auf einen Notfall vorbereiten, und man möge einen Hubschrauber schicken.
    Einer der Sanitäter richtete sich auf. „Der ist hinüber“, sagte er. Er gehörte zu der Sanitäter-Gruppe, die kürzlich von dem Pharma-Konzern ›Sanitas‹ geschult worden war, Anzeichen des Hirntods bereits am Unfallort zu erkennen. Für jeden potenziellen Spender, der gemeldet und erfolgreich auf die Transplantations-Schiene geschoben würde, bedankte sich ›Sanitas‹ mit einer Prämie von 500 Euro. Für einen Sanitäter ein nettes Zubrot, für ›Sanitas‹ dagegen eine Peanut. Stand doch dahinter der Milliardengewinn durch die Transplantierten, die ihr Leben lang teure Medikamente gegen die Abstoßungsreaktion ihres neuen, fremden Organs benötigten.
    Sieben Minuten waren vergangen. Plötzlich hoben sich alle Augen zum regenverhangenen Himmel, aus dem knatternd der Hubschrauber auftauchte. Sehr vorsichtig, ein wenig in Schräglage und die Nase nach unten, senkte sich der Helikopter herab und setzte mit dröhnenden, vibrierenden Rotorblättern auf der Straße auf. Heraus sprang die Pilotin, eine Blondine in einem orangeroten Overall, mit einer Art Taucherbrille um den Hals, gefolgt von einer älteren Ärztin.
    „Ich glaub, ich hab hier was für euch, das dürfte ein Spender sein“, sagte der Notarzt.
    Die Ärztin runzelte die Stirn. „Sie meinen, ein Fall für die Organentnahme? Hat der Verletzte denn einen Spenderausweis?“
    „Das nicht. Aber das werdet ihr doch hinkriegen können.“ Der Notarzt blickte auf den glänzenden nassen Asphalt. „Ja, richtiges Spenderwetter ist das heute.“
    Die Ärztin sah ihn irritiert an. Sie wollte gerade antworten, als sie bemerkte, dass sich einer
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