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Herzhämmern

Titel: Herzhämmern
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ganz allein. Ich kann unmöglich normal sein.
    Aber vielleicht will ich das gar nicht. Im Moment jedenfalls nicht. Ich schaue den dreien nach und weiß plötzlich: Ich möchte zu ihnen gehören. So stark kannte ich bisher nur einen Wunsch: zwischen meinem Vater und meiner Mutter in der Wand zu klettern.
    Von der Sonne ist jetzt nichts mehr zu sehen, aber es ist noch hell. Ich folge den dreien von Baum zu Baum und von Strauch zu Strauch. Selbst wenn ich wie ein Elefant durch den Wald trampeln würde, könnten sie mich nicht hören, sie machen zu viel Lärm. Sie holen Alex ein. Da sie den geraden Weg zur Herberge nehmen, überhole ich sie in einem Bogen, ich bin zum Glück schneller als diese lebenden Lehmklumpen.
    Die Herberge ist ein umgebauter Bauernhof. Um einen Kiesplatz gruppieren sich die Wirtschaftsgebäude und das Wohnhaus. Dem Eingang gegenüber ist ein offener Geräteschuppen und unter dem Vordach des Schuppens steht eine alte Kutsche. Die hatte es mir gestern schon angetan. Ich steige hinein und lehne mich auf der harten Bank zurück. Im Wohnhaus drüben brennt Licht. Wahrscheinlich gibt es gleich Abendessen. Mir graut vor dem Hineingehen, vielleicht kichern und feixen sie wieder.
    Jetzt knirscht der Kies in der Einfahrt. Die Lehmfiguren sind da, sie gehen hintereinander zur Haustür: Ecke, Bonni, Alex und Shelley.
    Plötzlich ein keifendes Geschrei - die Wirtin. Sie steht in der Tür und schaufelt mit den Händen. »Ihr Dreckbären! So kommt ihr mir nicht ins Haus! Ausziehen und waschen, da drüben ist ein Wasserhahn!« Sie zeigt in meine Richtung, und als ich mir in der Kutsche den Kopf verrenke, sehe ich den Blumengarten, der sich an den Schuppen anschließt, und den Wasserhahn an seinem Zaun.
    »Die Dreckklamotten hängt ihr in den Schuppen! Bringt sie ja nicht ins Haus!« Damit verschwindet die Wirtin. Sie schmettert die Tür zu, und ich kann mir fast vorstellen, dass sie auch noch einen Riegel vorschiebt.
    Die vier legen lammfromm ihre Helme ab. Und ihre umgehängten Maschinenpistolen, die in Wirklichkeit große, lehmbesudelte Taschenlampen sind. Dann setzen sie sich in den Kies; ihre Hosenbeine sind, wie sich herausstellt, mit Riemen über den Klumpschuhen festgebunden und an denen zerren sie nun. Alex motzt und flucht. Die anderen lachen. Sie fangen schon wieder an, mit Lehmbrocken zu werfen.
    Ich stelle mir vor, wie ich aus der Kutsche steige, mitten in den Geschosshagel hinein. Da bleibe ich doch lieber brav sitzen.
    Endlich zerren sie die Schnürstiefel von den Füßen und schälen sich aus ihren verkrusteten Overalls. Durchweichte braunfleckige Sportsocken, verschmierte Pullis, Flanellhemden und schmutzige Jeans kommen zum Vorschein. Alex ist als Erster am Wasserhahn. Die Lehmkruste auf seinem Gesicht weicht auf und läuft als braune Brühe herunter. Jetzt kann ich sein Alter schätzen, er ist mindestens siebzehn. Er verteidigt den Wasserhahn und lenkt den Strahl rechtwinklig auf jeden, der sich nähert. Sogar auf meine unschuldige Kutsche prasselt ein verirrter Schwall.
    »Lass den Quatsch, Alex«, schimpft Shelley. »Wir sind schon nass genug. Keiner darf morgen krank sein.«
    Alex spritzt munter weiter. Mir kommt der Gedanke, er will vielleicht morgen krank sein. Ecke und Shelley zerren ihn vom Wasserhahn weg. Missmutig hebt er Overall, Schuhe, Helm und Lampe auf und wirft alles in den Schuppen. Dann stakst er in Socken zum Haus.
    »Mach die Dusche nicht dreckig«, flötet Bonni. Sie versucht noch immer, den verkrusteten Knoten ihres linken Schnürsenkels aufzukriegen. Sie hat den Overall über den Stiefel gezogen. Mit dem Erfolg, dass die Hose jetzt innen wahrscheinlich genauso schmutzig ist wie außen. Denn am Schuh hing eine Tonne Lehm. Er ist überhaupt kaum als Schuh zu erkennen. So wie die übrigen sieben Schuhe, die ich gesehen habe. Die liegen inzwischen im Schuppen. Jetzt kommt Bonnis linker Stiefel hinzu - Ecke hat Hilfe geleistet und den Knoten aufgekriegt. Anstatt freundlich Danke zu sagen, brummt Bonni: »Hau ab, Alter.«
    Das finde ich cool. Ich möchte auch mit Typen zusammen sein, zu denen ich kumpelhaft Hau ab, Alter sagen kann. Ob meine Mutter etwas in dieser Art zu meinem Vater gesagt hat, wenn sie mit ihm in die Wand stieg?
    Ich schaue Ecke und Shelley nach. Sie haben sich Gesicht und Hände gewaschen und ihr Zeug sorgfältig im Schuppen aufgehängt; jetzt gehen sie in Socken zum Haus, sportliche Jungen von mindestens siebzehn. Mich selbst hat bisher keiner gesehen, in der
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