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Herzhämmern

Titel: Herzhämmern
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ihren Löffeln, als wären die aus einem nie gesehenen Material. Ich habe das Gefühl, meiner Ankunft ist eine Predigt vorausgegangen - ich bin eine Minderheit, die man schützen muss.
    Aber ich brauche Carstens Schutz nicht, ich schütze mich selbst. Kühl sage ich: »Ja, mein Geruchssinn funktioniert.« Ich setze mich neben ihn, obwohl am anderen Ende des Tisches noch ein Platz frei wäre, neben ihm bin ich vor Pöbeleien sicher. Das ist mir im Augenblick besonders wichtig. Denn ich rechne damit, dass auch die Erdferkel zum Essen erscheinen werden, wenn sie erst geduscht haben. Keiner soll mich in ihrer Gegenwart Martina Schlotterbein nennen.
    »Hast du wieder Blätter gesammelt?«, will Carsten wissen. Er ist eigentlich ein netter Typ, er hat kapiert, dass ich gern allein bin, und er zwingt mich nicht, ständig dasselbe zu tun wie die Gruppe.
    Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich habe mich nur umgesehen.«
    »Was Schönes entdeckt?«, fragt er.
    Ich zögere. Sicher ist die einsame Esche schön. Aber ich stelle mir vor, wie Carstens Horde einfällt und den Baum entlaubt. Es ist mein Baum, ich bin nicht verpflichtet, ihn zu teilen. Außer der Esche hätte ich natürlich noch etwas zu bieten, und ich stelle mir vor, wie die Löffel in der Luft stehen bleiben, wenn ich das jetzt erzähle. Die Versuchung ist groß …
    »Hey.« Carsten beobachtet mich. »Du hast wohl was Tolles entdeckt?«
    Ich klappe die Augenlider herunter. »Nur tausend Baumsorten.«
    »Ach so.« Er denkt nach. Dann meint er: »Wir haben doch morgen Wandertag - was hältst du davon, wenn du uns dabei die Bäume erklärst?« Er wendet sich auch gleich an die anderen: »Hallo, ihr alle, was haltet ihr davon, wenn uns Martina morgen die Bäume erklärt?«
    Sagenhafte Begeisterung, niemand schaut auf.
    Aber ihm gefällt die Idee. »Wir packen Brote ein und ziehen nach dem Frühstück los; wir nehmen uns den ganzen Tag Zeit für den Rundwanderweg, ehe uns der Bus am Abend nach Hause zurückbringt. Dass wir eine Expertin in der Gruppe haben, ist ein Glücksfall.« Hier legt er mir sogar die Hand auf den Arm. »Du gibst uns doch eine Führung, Martina, oder?«
    Ich schlucke. Es ist nicht ganz leicht, Nein zu sagen, wenn einer so nett ist; ich merke auch, wie er sich bemüht, mein Ansehen in der Gruppe wiederherzustellen. Doch erstens finde ich es bescheuert, meine Biologiekenntnisse Leuten aufzudrängen, die sie absolut nicht hören wollen, und zweitens habe ich andere Pläne.
    »Ich komme nicht mit«, sage ich. »Ich will morgen in die Höhle.«
    Carsten kaut daran. Ich kann mir denken, was in ihm vorgeht; erst mal wünscht sich natürlich ein Jugendleiter, dass die Gruppe zusammenbleibt, er trägt ja die Verantwortung; außerdem ist die Wanderung ein geplanter Programmpunkt, genau wie heute der Höhlenbesuch. Aber Carsten weiß auch, dass ich vom Höhlenbesuch nichts hatte. Ich kann sehen, wie es in ihm arbeitet, er denkt vielleicht um und beginnt, an die Story von meiner schwachen Blase zu glauben, denn wer Höhlenangst hat, reißt sich nicht darum, ein zweites Mal hineinzugehen.
    »Tja, schade.« Er räuspert sich. »Aber wie kommst du zur Höhle? Für dich allein gibt es keinen Bus.«
    »Mit einer anderen Gruppe«, sage ich schnell. »Nach der Abendfreizeit weiß ich mehr. Wir haben doch Abendfreizeit?«
    »Ja, natürlich. Aber eigentlich wollen wir Spiele machen. Spielst du nicht mit?«
    »Vielleicht später.« Ich lehne mich zurück.
    Mein Ansehen ist wiederhergestellt, das sehe ich deutlich. Achtung und Neid schlagen mir entgegen. Ich unterscheide mich von der Gruppe. Ich bin eine Minderheit.
    Unsere Suppenteller werden abgetragen, als die Erdferkel zur Tür hereinkommen. Mit einem raschen, prüfenden Blick stelle ich fest, dass Bonni den anderen das Gespräch mit mir verschwiegen hat, denn sie gehen völlig desinteressiert an unserem Tisch vorüber. Und auch Bonni zeigt nur mit einem Wimpernschlag, dass er mich erkennt.
    Während wir Würstchen und Brot essen, habe ich Gelegenheit, mir die Erdferkel näher anzusehen. Ihr Gespräch kann ich nicht belauschen, dazu ist es zu laut in der Gaststube. Die Lehmskulptur ist in vier sehr unterschiedliche Typen zerfallen. Der Älteste scheint Shelley zu sein. Er bestätigt diesen Eindruck, als er einen Autoschlüssel aus der Jeanstasche zerrt und auf denTisch legt. Da fällt mir plötzlich die alte, bunt bemalte Blechkiste ein, die heute Morgen auf den Parkplatz kurvte, gerade als uns der Reisebus zur
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