Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
Vom Netzwerk:
davonzulaufen, indem sie sich immer beschäftigen. Andere
    -23-

    werden von ihren Trieben in die Unruhe ge trieben. Es gibt neurotische Formen der Ruhelosigkeit, und es gibt Psychosen, die sich in starker Unruhe ausdrücken. Manischdepressive Menschen sind in ihrer manischen Phase von rastloser Hektik bestimmt. Eine Depression kündet sich oft durch Ruhelosigkeit und Schlaflosigkeit an. Menschen können tagelang nicht mehr schlafen. Sie kommen einfach nicht mehr zur Ruhe. Überall wo sie sind, zergrübeln sie sich den Kopf. Sie regen sich über die Menschen in ihrer Umgebung so stark auf, daß sie davon nicht mehr loskommen. Bei der Arbeit, beim Gebet, beim Spaziergang, überall werden sie von den ärgerlichen Gedanken über ihre Umwelt zermürbt. Sie können nicht mehr abschalten.
    Sie haben keine Distanz mehr zu ihrer Umwelt. Die Umwelt bekommt absolute Macht über sie und treibt sie um. So geraten sie völlig aus dem Gleichgewicht. Sie verlieren den Anker und werden wurzellos. So irren sie ohne Ziel herum und werden krank. Mit dem Willen allein kann man die Krankheit der Ruhelosigkeit nicht bezwingen. Da muß man die Ursachen anschauen, die Distanzlosigkeit, die Unfähigkeit, in der eigenen Mitte zu sein, sich selbst zu spüren. Man definiert sich von außen. Man wird von außen bestimmt, getrieben, zermartert.
    Daneben gibt es andere Formen von Ruhelosigkeit, die nicht von einer Krankheit zeugen, die aber dennoch psychische Ursachen haben. Für die griechische Philosophie waren es die Affekte, die den Menschen die Ruhe rauben. Wenn einer nicht angemessen umgeht mit seinen Affekten, wird er von ihnen getrieben. Die alten Mönche haben die griechische Lehre von den Affekten weitergeführt zu ihrer Auffassung von den neun Logismoi. Logismos heißt wörtlich: Berechnung, Erwägung, Überlegung, Betrachtung. Evagrius Ponticus, der die acht bzw.
    neun Logismoi am ausführlichsten beschrieben hat, versteht darunter gefühlsbetonte Gedanken, Leidenschaften, Triebe und Emotionen. Wenn wir sie einfach gewähren lassen, hindern sie uns daran, zur Ruhe zu kommen, unsere Mitte und unseren
    -24-

    Seelenfrieden zu finden. Die Lehre von den neun Logismoi wurde später zur Lehre von den acht Lastern und schließlich von den sieben Hauptsünden. Aber ursprünglich war sie nicht moralisierend gemeint, sondern psychologisch. Sie wollte die Ursachen erforschen, warum wir nicht zur Ruhe kommen, warum wir nicht ohne Zerstreuung beten können. Die Lehre von den neun Logismoi hat offensichtlich auch das Enneagramm beeinflußt, das heute so modern geworden ist. So könnte diese alte Lehre auch heute ein gutes Raster abgeben, um die Ursachen für unsere mangelnde Fähigkeit zur Ruhe zu beschreiben.
    Getrieben von den Trieben
    Evagrius teilt die neun Logismoi in drei Gruppen ein, die er jeweils dem begehrlichen (epithymia), dem emotionalen (thymos) und dem geistigen (nous) Bereich im Menschen zuordnet. Der begehrliche Bereich ist von den drei Grundtrieben geprägt: Essen, Sexualität und Besitzstreben. Manche können Ruhe nicht aushalten. Sie müssen immer etwas essen. Sie stopfen die innere Leere zu. Sie stehen immer wieder auf und suchen im Kühlschrank nach etwas Eßbarem. Für viele besteht das Abendritual heute darin, daß sie vor dem Fernseher sitzen und nebenbei immer etwas essen. Offensichtlich kann das Fernsehen sie nicht zerstreuen. Sie brauchen auch noch etwas zu knabbern, um ihre Ruhelosigkeit zuzustopfen. Andere werden von ihrer Sexualität getrieben. Sie sind nicht bei sich. Wenn sie eine schöne Frau sehen, geht ihre sexuelle Phantasie mit ihnen durch. Sie stürzen sich nicht in die Ruhelosigkeit, um ihre Triebe abzuwehren, wie es die Magersüchtigen tun, sondern sie werden von ihrer Sexualität in die Unruhe getrieben. Sie können nicht ruhig durch die Stadt gehen. Sie müssen sich ständig sexuell aufpeitschen lassen. Frauen erzählen mir, wie sie sich oft abends in der S-Bahn oder U-Bahn belästigt fühlen von Männern, die offensichtlich nichts anderes im Sinn haben als Sex. Sie schauen nach Frauen aus, die sie reizen, setzen sich
    -25-

    neben sie und fummeln an ihrem Penis herum. Es wirkt peinlich, wenn ein Mensch nur noch von seiner Sexualität beherrscht wird und nichts anderes mehr denken kann. Solche Menschen sind ruhelos. Sie können sich selbst nicht fühlen. Sie brauchen immer einen Reiz von außen. Sie können Sexualität nicht genießen, sondern sind ihrem Sexualtrieb ausgeliefert.
    Ähnlich ist es mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher