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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
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Ruhe, um dieser Hektik auszuweichen. Sie ist wie ein Fieber, das um sich greift. Wer sich ihm entzieht, hat das Gefühl, daß er sich außerhalb des Clubs der Erfolgreichen stellt. Und davor haben viele Angst.
    Denn das wichtigste Paradigma unserer Zeit scheint zu sein, dazuzugehören. Wenn ich in der Ruhe aussteige aus dem Kreislauf der Hektik, dann gehöre ich nicht me hr zu den
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    Streßgeplagten. Vom Streß geplagt zu sein scheint wie ein Imagesymbol zu sein, mit dem sich jeder gerne schmückt, obwohl er im Grunde unter solchem Schmuck leidet, ja oft sogar zusammenbricht.
    Man hat den Eindruck, daß heute die Geduld fehlt, etwas wachsen zu sehen. Man muß sofort Erfolge sehen. Man muß sofort Bedürfnisse erfüllen. Man läßt sich nicht mehr die Zeit, dem Wachsen einer Blume oder eines Baumes zuzusehen. So wird in manchen Firmen viel Wind fabriziert. Aber es wächst nichts, was Bestand hat. Die gleiche Ungeduld kann man bei der Erziehung der Kinder beobachten. Man kann es kaum aushalten, wenn Kinder einmal eine Krise durchmachen. Man gerät in Panik und meint, man müsse die Krise sofort wieder in Griff bekommen. Unsere Politik ist von Kurzatmigkeit geprägt.
    Täglich werden neue Lösungsmöglichkeiten angepriesen, die aber schon am gleichen Tag widerrufen werden. Je schneller man Lösungen möchte, desto mehr lahmen sich die verschiedenen Parteien, und es geschieht gar nichts. Die Hektik gebiert leeres Stroh.
    Der Hektiker arbeitet effektiv weniger als der, der mit Ruhe und Gelassenheit an die Arbeit geht. Wir hatten in unserem Kloster einen Maurer. Wenn man dem zuschaute, dachte man, der läßt sich aber Zeit, der arbeitet ganz gemächlich. Aber wenn man abends die Quadratmeter nachrechnete, die er an Fliesen verlegt hatte, so staunte man, daß er wesentlich über dem Durchschnitt lag. Ein anderer machte immer den Eindruck, daß er überbeschäftigt sei. Aber am Abend konnte er auf wenig effektive Leis tung zurückblicken. Ein Mitbruder erzählte mir von zwei Mönchen einer Abtei, die er vor seinem Eintritt öfter besucht hatte. Der eine jammerte schon bei der Begrüßung, daß er soviel zu tun hätte und daher nur ganz wenig Zeit habe. Er blieb aber dann doch eine Stunde. Aber immer hatte man das Gefühl, daß er gar nicht ganz dabei war. Er erzählte mehr von sich und seiner vielen Arbeit und hatte kaum ein Ohr, wie es
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    denn dem andern erginge. Der andere Mitbruder kam freudig zur Begrüßung und teilte ihm mit, daß er heute 20 Minuten Zeit für ihn habe. In diesen 20 Minuten war er so präsent und hörte so aufmerksam zu, daß der Besucher das Gefühl hatte, er wäre nur für ihn da. Und die Zeit fühlte sich viel länger und erfüllter an als die eine Stunde, die der hektische Mitbruder da war.
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    2. Psychische Ursachen der
    Ruhelosigkeit

    Häufig hat die Ruhelosigkeit psychische Ursachen. Da gibt es die Unruhe des Menschen, der etwas verdrängt und vor einem Konflikt davonläuft. Da gibt es die Ruhelosigkeit, die den Beginn einer Depression anzeigt. Man kann nicht mehr schlafen.
    Man kann es nicht mehr in einem Zimmer aushalten. Immer muß man hin und her laufen und etwas tun. Man kommt einfach nicht mehr zur Ruhe. Da gibt es krankhafte Ruhelosigkeit, die nur der Arzt und Psychologe he ilen kann. Und da gibt es viele Vorformen neurotischer Unruhe. Die psychisch Kranken führen uns nur deutlich vor Augen, was wir alle irgendwie auch kennen. Denn jeder kennt das Phänomen, daß er vor etwas davonläuft, daß er einfach nicht zur Ruhe kommt, daß ihn etwas umtreibt, ohne daß er sagen kann, was es ist. Oft entschuldigen wir uns dann damit, daß wir halt gerade viel zu tun haben. Aber unsere Umwelt bekommt es oft mit, daß wir so hektisch sind, daß wir unsere Mitte verloren haben. Sie signalisiert es uns, daß wir einmal etwas für uns tun müßten. Aber wir weigern uns meistens, in unserer Psyche nach den Ursachen zu suchen. Wir erklären unsere Unruhe mit der äußeren Situation, in der wir stehen. Aber wenn die Unruhe zu einer Dauerhaltung wird, sollten wir doch in uns hineinhorchen und fragen, was die tiefste Ursache dafür ist.
    Psychisch kranke Menschen sind oft von einer großen Ruhelosigkeit geprägt. So macht man gerade bei Magersüchtigen die Beobachtung, daß sie ruhelos sich immer beschäftigen müssen, sich oft völlig für andere verausgaben. Der Grund dafür ist - so sagt die Psychologie - oft Triebabwehr. Sie haben Angst vor ihren Trieben und suchen vor ihnen
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