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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
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gekennzeichnet. Manchmal hat man den Eindruck, daß unsere Politik das Ziel aus den Augen verloren habe und deshalb so hektisch jeden Tag andere Lösungsmöglichkeiten präsentiere.
    Die Ziellosigkeit und Orientierungslosigkeit zeigt sich auch in unserem Freizeitverhalten. Anstatt alte Kirchen anzuschauen oder die schöne Landschaft zu genießen, wird der Erlebnisurlaub organisiert. Man hetzt die Menschen von Event zu Event. Animateure müssen die Urlauber ständig beschäftigen.
    Hier wird deutlich, daß Hetze von Haß kommt, daß die Animateure die Leute „hassen machen“, daß so ein Urlaub nichts Menschenfreundliches ist, sondern Ausdruck des tiefen Menschenhasses, der sowohl Urlauber wie Organisatoren bestimmt. Je zielloser man ist, desto mehr treibt man einander in die Hetze, desto mehr hindert man sich daran, den Augenblick zu genießen. Urlaub kommt eigentlich von „Erlauben“. Im Urlaub sollten wir uns erlauben, die Muße zu genießen. Muße ist das Gegenteil von Hetze, in die der Animationsurlaub treibt.
    Muße ist Zustimmung zum Sein, Sich-Versenken in die Wirklichkeit, einfach Dasein, ohne Druck, sich beschäftigen zu müssen.
    Pascal Bruckner, ein französischer Philosoph, hat den
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    heutigen Menschen gekennzeichnet als „den hyperaktiven Nichtstuer, der immer in Alarmbereitschaft ist, bereit zum Erstürmen des Amüsierbabel“ (63). Früher war die Muße Privileg der Begüterten, heute scheint „die Arbeit zum letzten Refugium der Elite zu werden“ (ebd.). Die absolute Ruhe scheint heute nichts Erstrebenswertes zu sein, sondern eine Strafe. Freizeit ist heute nicht „jener wesenhafte Friede in den Tiefen des Seins, den Paul Valéry pries. Sie zeichnet sich durch die Unmöglichkeit aus, nichts zu tun. Überall Eile, Presse, Alarm im Dienst der größten Lächerlichkeiten: im Fernsehen die Tyrannei der Uhr, gelenkt von Werbenotwendigkeiten... Selbst in den Augenblicken der Entspannung bleibt der moderne Mensch ,ein Arbeiter ohne Arbeit' (Hannah Arend t).“ Er wird zum unruhigen Müßiggänger, der unfähig ist, seine Hektik zu lassen und die Ruhe zu genießen. Nicht die Sehnsucht nach Ruhe prägt die heutige Freizeitindustrie, sondern die Flucht vor der Ruhe in die Betriebsamkeit. Bruckner nennt die heutige Freizeit „die Kunst, den Wind zu umarmen, verkleidet als Überanstrengung“. Und schon Kurt Tucholsky schreibt davon, daß unsere Zeit „den zappelnden Nichtstuer“ erfunden habe. Der zappelnde Nichtstuer prägt unsere heutige Freizeitindustrie.
    Maßlosigkeit
    Eine wichtige Ursache für die Ruhelosigkeit unserer Zeit ist die Maßlosigkeit, die alles beherrscht. Diese Maßlosigkeit zeigt sich in der Werbung, die uns dazu anstachelt, immer noch mehr zu kaufen, immer wieder Neues auszuprobieren. Die Werbung spricht unsere maßlosen Bedürfnisse an, unser Bedürfnis nach immerwährendem Glück, nach sofortiger Befriedigung, nach Geborgenheit und Erfolg. Hinter der Maßlosigkeit der Werbung steht ein ganz bestimmtes Selbstbild, das wir haben, das Bild eines Menschen, der alles kann, für den es keine Grenzen gibt, der alles im Griff hat. Der maßlose Mensch bläht sich auf. C. G.
    Jung spricht von Inflation. Er versteht darunter den Menschen, der keine Grenze mehr anerkennt, der meint, alles sei machbar.
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    Er wird unruhig, sobald er an seine Grenze stößt. Und er versucht der Grenze aus dem Weg zu gehen, indem er seine maßlosen Bedürfnisse befriedigt. Aber sobald ein Bedürfnis befriedigt ist, taucht schon das nächste auf. So kommt er nie zur Ruhe. Die Maßlosigkeit bestimmt auch unsere Produktion. Wir müssen immer mehr produzieren, ohne Rücksicht darauf, ob die Produktion überhaupt sinnvoll ist. Wir müssen immer schneller fahren, immer mehr in weniger Zeit vollbringen. Wir müssen immer weiter in Urlaub fahren. Wir müssen immer teurere Autos kaufen. Es ist wie ein Zwang, unter dem viele Menschen stehen. Sie können das, was sie haben, nicht genießen. Weil sie die Mitte verloren haben, weil sie ihr Maß vergessen haben, können sie sich nur an den andern messen. Sie müssen besser abschneiden als die andern. So werden sie von den Bedürfnissen der anderen bestimmt, anstatt das Maß anzunehmen, das für sie stimmt. Nur wer maßvoll ist, kann auch Ruhe finden. Nur wer sein Maß kennt, kann auch nein sagen zu den Bedürfnissen, die man ihm aufdrängt.
    Lärm als Ruheverhinderer
    Selbst der Mensch, der sich nach Ruhe sehnt, wird heute vom Lärm der Umwelt daran gehindert, die
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