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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
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Arbeit, noch auf das Nichtstun einlassen. Und man kann nicht einmal das Nichtstun genießen.
    Akedia ist die Unfähigkeit, sich auf den Augenblick einzulassen und ganz gegenwärtig zu sein. Aber immer sind die anderen daran schuld, daß es einem nicht gut geht. Wenn der Mitarbeiter nicht so schwierig wäre, ginge es mir besser. Wenn mein Haus nicht so dunkel wäre, würde ich mich wohler fühlen. Wenn mein Strumpf nicht so eng wäre, wäre ich nicht so unzufrieden.
    Man rebelliert gegen alles, gegen die Menschen, mit denen man lebt, gegen den Ort, an dem man wohnt, gegen das Wetter, gegen das Fernsehprogramm, gegen die Kleider, die man gerade trägt, ja gegen den eigenen Leib, der nicht so ist, wie man es gerne hätte. Das ist heute auch eine weitverbreitete Seuche, die Pascal Bruckner in seinem Buch „Ich leide, also bin ich“
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    treffend beschrieben hat. Es ist die Sucht der Victimisierung. Ich bin immer Opfer. Schuld sind immer die anderen. So aber kommt man nie zur Ruhe.
    Von der Wortbedeutung her heißt Akedia eigentlich „Mangel an Sorgetragen“. Denn kedos meint „Sorge, Trauer, Leid um etwas Verlorenes“. Wucherer-Huldenfeld übersetzt die Akedia daher mit „wesenhaftem Mangel an Sorge um das eigene Selbstsein und Dasein miteinander, dem Mangel an liebendem Sorgetragen“. Und Josef Pieper meint, Akedia dürfe man nicht mit Trägheit übersetzen. Vielmehr sei damit gemeint, „daß der Mensch nicht mitarbeite an der Verwirklichung seiner selbst; daß er sich weigere, den erforderlichen Beitrag zu leisten zu dem selbsteigenen, wahrhaft menschlichen Dasein“. Evagrius nennt die Akedia auch Atonia der Seele. Sie ist Spannungslosigkeit und Erschlaffung. Der Mensch hat die gesunde Spannung (die Eutonia) verloren. Er ist formlos und spannungslos. Er fällt innerlich wie äußerlich auseinander. Er irrt umher. Seine Bewegungen sind fahrig. Das Heilmittel gegen die Akedia ist daher die Sorgfalt in allem, was man tut. Die Sorgfalt erzeugt wieder eine gesunde Spannung im Menschen, die Eutonia.
    Cassian stellt einen Katalog von Haltungen auf, die aus der Akedia folgen: „Müßiggang (otiositas), Schläfrigkeit (somnolentia), schlechte Laune (importunitas), Unruhe (inquietudo), Herumvagabundieren (pervagatio), Wankelmütigkeit (instabilitas mentis et corporis), Gerede (verbositas), Neugier (curiositas)“. Damit beschreibt er wohl treffend die Haltung vieler Menschen heute. Die ersten drei Haltungen stellen die Weigerung dar, sich auf etwas einzulassen. Der Müßiggang meint nicht wahre Muße (otium), die Fähigkeit, ganz im Augenblick zu sein und das Dasein zu genießen, sondern die Weigerung, sich in der Arbeit fordern zu lassen. Man genießt nicht die Muße, sondern man geht müßig und lustlos herum, man ist ein „zappelnder Nichtstuer“
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    (Tucholsky). Die Schläfrigkeit stellt sich immer dann ein, wenn einen etwas innerlich angehen sollte. Man schaut sich einen Film an, aber man schläft ein, anstatt sich anrühren zu lassen.
    Die schlechte Laune ist eine Rebellion gegen alles, was ist. Die fünf anderen Haltungen folgen aus dieser Rebellion. Man ist ständig unruhig. Man vagabundiert herum. Man ist immer beschäftigt, aber nie tiefer bei einer Sache. Die übertriebene Aktivität will nur die darunter liegende Depression überspielen.
    Die Psychologie spricht hier von „larvierter Depression“, die sich in einer psychosomatischen Krankheit ausdrücken kann oder eben in einer übertriebenen Hektik. Die Unruhe zeigt sich nicht nur in ständiger Aktivität, sondern auch in der Unfähigkeit, sich mit seinem Geist auf eine Sache einzulassen, etwas bis zum Ende durchzudenken, ein Buch zu Ende zu lesen und bei einem Thema zu bleiben. Und die Unruhe zeigt sich in den Körperbewegungen, die nicht aus der Mitte heraus geschehen, sondern fast wie automatisch anmuten, fahrig, hektisch, zerrissen.
    Gerede und Neugier sind heute zwei weitverbreitete Ausdrucksformen der Akedia. Gerede ist das Gegenteil von Gespräch. Man hört nicht zu. Es kann sich kein wirkliches Gespräch entwickeln. Ständig wechselt man das Thema. Man spricht immer nur über Belangloses, am liebsten über andere, um von sich selbst abzulenken. Wucherer-Huldenfeld nennt die verbositas „einen tiefgreifenden Sprachverfall“. Der Mensch
    „erfährt sein Inneres als leer, dumpf und stumm; er hat nichts Wesentliches zu sagen und verbirgt diesen Zustand durch immer lauter werdendes Gerede. Das Gerede erweckt den Anschein, über alles
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