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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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mit den ersten kleinen Tropfen zu besprenkeln. In meiner Hand knarzte das schwarze Funkgerät leise und erinnerte mich daran, dass ich meinen abendlichen Kontrollgang über die drei Aussichtsplattformen auf dem Dach des Gasometers nun endlich fortsetzen sollte. Ich nahm die Stirn vom Gitter und ging langsam weiter.
     
    Eigentlich mochte ich diese stillen Stunden am Abend, die mir mein Job als Projektleiterin dieser spät berufenen Ausstellungshalle bot, besonders. Es war die Zeit, wenn die Aussichts- und Kulturhungrigen die Welt wieder durch ihren Fernseher betrachteten und wir in unserem untergegangenen Industrieriesen in kleiner Besetzung dem Ende des Tages entgegenträumten. Das heißt, ich träumte, der Hausmeister reparierte, die Aufsichten rauchten und die Kassenkräfte zählten.
     
    Ich machte mich auf den Weg von Plattform eins, an der der Außenaufzug hielt, mit dem ich vor einigen Minuten angekommen war, auf den Rundkurs zu den beiden anderen Plattformen. Zurück würde ich auf dem äußeren Treppenturm zwei Stockwerke bis in die zehnte Etage gehen und von dort den gläsernen Aufzug im Innern nehmen, der einen durch den gigantischen, dunklen, stillen Raum schweben ließ wie einen einsamen Taucher durch die Tiefsee.
     
    Sein kathedraler Innenraum hatte diesen gelernten Gasspeicher Ende der achtziger Jahre vor dem Abriss bewahrt und ihm diesen neuen Job als Wahrzeichen und Museum auf dem zweiten Bildungsweg beschafft. Die Fahrt durch die Schwärze hinab in die wechselnden Ausstellungen wurde mir nie langweilig, aber bevor ich heute schweigend schweben konnte, galt es erst mal auszuschließen, dass jemand die Nacht hoch über dem Ruhrgebiet verbringen wollte. Es gab zwar für jede Plattform auf dem Dach auch eine Überwachungskamera, aber diese Wunderwerke der Technik hatten mehr tote Winkel als der frühe VW-Käfer.
     
    Ich schlenderte in Richtung Plattform zwei. Alles hier oben war ruhig und menschenleer, kein vergessener Besucher, der noch die Aussicht genoss, kein Lebensmüder, der nach ewigem Schlaf suchte. Von dieser Aussichtsplattform hatte ich den direkten Blick auf Europas größtes Einkaufszentrum, das die Frontlinie der ganzen Region in der Schlacht gegen den Untergang darstellte. Früher hatten auf dem gleichen Gelände Zehntausende in Stahlwerken und an Hochöfen gearbeitet, heute brachte es diese selbst ernannte neue Mitte der Stadt auf ungefähr dreihundert Tapfere, die Freizeitkleidung und Flachbildfernseher verkauften. Sollten wir die Schlacht verlieren, würden wir dort später einfach einen Gedenkstein aufstellen: Wanderer, kommst du nach Oberhausen …
     
    Gerade spuckte der lang gestreckte Flachbau seine Besucher Kleinwagen für Geländewagen für Mittelklassewagen in Richtung A 42 aus. Eine träge Metallpolonaise, die im dunklen Rot des Sommerabends angemessen bedeutungsvoll glänzte. Der Wind trug mit den Regentropfen buntes Tonkonfetti des Karaokewettbewerbs, der an Sommerabenden mit gnadenloser Regelmäßigkeit in einem der Biergärten rund um das Konsumschlachtfeld stattfand, zu mir herauf. Ein eiliger Schwarm in der Mitte getrennter Akkorde und zerrissener Texte, die selbst so kleinteilig noch von dem Schrecken kündeten, den sie auf ebener Erde zu verbreiten wussten. Ich wanderte schnell weiter, der letzten Plattform entgegen. Ein großer Fetzen eines vielstimmigen Refrains über einen Stern, der meinen Namen trug, verfolgte mich bis zur nächsten Kurve, wo seine kurze stellare Reise von der Außenwand des Gasometers unsanft beendet wurde. Mich freute das, denn von Liebesliedern schmerzte mir auch nach acht Jahren ohne Liebe noch anfallartig die Milz.
     
    Irgendetwas schimmerte in einer Ecke der letzten Plattform zwischen den Gitterstäben grünlich, als ich dem Weg weiter folgte. Ich ging unwillkürlich ein wenig schneller. Wahrhaftig, in der linken Ecke der dritten, großen Plattform lag oder stand ein grüner Gegenstand. Sehr grün, unangenehm grün. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, aber der unbestimmte grüne Gegenstand ließ sich mit den begrenzten Möglichkeiten meiner Augen nicht näher heranzoomen. Wahrscheinlich hatte wieder jemand seinen Rucksack zum Fotografieren abgenommen und ihn dann einfach vergessen. Leute vergaßen alles Mögliche, Taschen, Schirme, Mäntel, manchmal sogar Kinder. Wir trugen alles zusammen und bewahrten es auf, die Kinder unterhielten wir altersgerecht mit Geschichten über den garstigen Gasometergeist, der unter dem
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