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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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ich hatte allerdings auch nicht darum ersucht. Das Blut auf der Jeans war mittlerweile schon verkrustet.
     
    Der Große machte ein Geräusch in der Kehle, das wohl Mitleid ausdrücken sollte, aber eher wie ein unterdrücktes Rülpsen klang.
     
    »Haben Sie irgendjemanden gesehen, als Sie nach oben gefahren sind?«
     
    »Nein, habe ich doch schon gesagt! Es waren schon seit einer halben Stunde keine Besucher mehr auf dem Gelände. Theoretisch natürlich. Das hier ist nicht das Museum Folkwang, das ist ein ehemaliger Gasspeicher auf einer Brache am Kanal, wer sich hier wirklich verstecken will, der schafft das auch. Aber wir kennen die meisten Ecken und schauen überall nach. Die Fahrt aufs Dach ist immer der letzte Punkt. Danach werden beide Aufzüge abgestellt und der Treppenturm verschlossen.«
     
    »War denn von den Aufsichten jemand vorher noch hier oben?«
     
    »Nein, die waren alle vier unten beschäftigt.«
     
    »Die Kameras zeichnen nicht auf?« Er deutete auf die Linse, die sich auf unsere kleine Versammlung richtete.
     
    »Nein.«
     
    »Haben Sie ein Foto gemacht? Mit dem Handy?«
     
    »Nein, ich habe mein Handy heute zu Hause liegen lassen.« Bis jetzt hatte ich über meine möglichen fünfzehn Minuten Youtube-Ruhm nicht einmal nachgedacht. Ich hatte noch nichts getwittert und kein Facebook-Update gemacht. Ich war alt.
     
    »Gut.« Er klappte sein Notizbuch zu. »Sie können jetzt nach Hause gehen, wir werden uns aber sicher in den nächsten Tagen noch einmal unterhalten müssen.«
     
    Ich nickte, das waren Sätze, die man aus Krimis kannte und die deshalb unwirklich klangen. Mir fiel nicht ein, was die Menschen in den Büchern und den Filmen an dieser Stelle erwiderten, also ging ich wortlos. Gemeinsam mit Helmut schwebte ich im Innenaufzug der Erde entgegen. In Höhe der fünften Etage drehte er plötzlich seinen Schlüssel im Schloss der Bedienungsleiste und brachte den Aufzug zwischen Himmel und Erde zum Stehen, ein Privileg, das sein Job mit sich brachte. Im vollen Licht aller Scheinwerfer sah der auf hundert Meter von keiner Zwischendecke unterbrochene Raum noch größer aus. Das schwarze Teer an den hohen Wänden, das früher das gespeicherte Gas am Entweichen gehindert hatte, glänzte giftig.
     
    »Meinst du, da hat einer jemanden umgebracht und die anderen Teile liegen auch noch bei uns herum?« Er schaute dabei nicht mich, sondern seinen Schlüsselbund an. Sein Kopf begann wieder leicht zu wackeln und er sah mehr als jemals zuvor wie Lukas der Lokomotivführer aus.
     
    »Ich weiß nicht. Warum sollte jemand so etwas tun?« Mir fielen auf Anhieb einige Gründe ein, ich sah viel fern.
     
    Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht lebt der Typ ja auch noch und ihm fehlt nur der Fuß.«
     
    Dieser Gedanke zog ein Heer schrecklicher Bilder von Verliesen und dunklen Kellerräumen hinter sich her, die auch Helmut nicht entgingen. Er drehte den Schlüssel ruckartig in die andere Richtung und wir fuhren weiter.
     
    »Tot oder lebendig, irgendwo muss der Rest ja sein.«
     
    Es gab viel zu nicken an diesem Tag, denn wieder hatte Helmut recht.
     
    Am Boden waren jetzt nicht mehr nur Polizisten, sondern auch ungeheuer viel Presse. Gleich mehrere Wagen der lokalen Fernseh- und Radiosender hatten sich zu später Stunde auf den Weg gemacht und parkten jetzt so dicht am Zaun wie gerade noch möglich. Interessant, wie schnell sich so ein herrenloser Fuß auf einer Landmarke der Industriekultur herumsprach. Wenn man bedachte, wie schwer es manchmal war, dieselben Medien für eine Ausstellungseröffnung zu begeistern, brachte einen dieser Auftrieb zu mitternächtlicher Stunde auf komische Ideen. Ich schlich mich vorbei an den lauten Spekulationen, ob es nun ein oder mehrere Teile eines Menschen, eine ganze Frau oder ein halber Mann waren, in den Container, der immer zu Ausstellungszeiten hinter den Gasometer gehoben wurde und als mein Büro diente. Es gab einiges zu erledigen und das versah die Ereignisse der letzten Stunden mit einem Hauch von Normalität. Ich verband das Knie, das böse aufgeschürft war und bläulich schimmerte, hinterließ meiner Kollegin eine Nachricht auf der Mailbox, dass sie morgen frei habe und ich ihr alles in Ruhe erklären werde. Dann änderte ich die Arbeitspläne der Aufsichten, denn am Wochenende musste die Ausstellung geschlossen bleiben. Vermutlich nur am Wochenende, hatte die Aussage der Polizei gelautet, und damit die Geschäftsführung des Gebäudes, die
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