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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
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„Was sehen sie in der Vergangenheit, diese eure Schamanen?“
    „Einiges von den Früheren Sachen, aber nur winzige Stückchen“, mußte Sander zugeben. „Wir kamen nach der Finsteren Zeit in dieses Land, und was sie uns erzählen, betrifft einen anderen Teil, der jetzt vom Meer bedeckt ist. Meist erinnern sie sich an unsere Horde und an eine Vergangenheit, die allein uns gehört.“
    „Was eure Seher der Vergangenheit nicht alles zu tun vermöchten, wenn sie die vergangenen Dinge erfahren könnten. Aber es ist beinahe so wie bei uns, die wir in die Zukunft blicken: wir können es nur für einen kurzen Zeitraum. Ich weiß daher, daß wir gemeinsam reisen werden, aber nicht viel mehr.“
    Sie sprach mit einer solchen Überzeugungskraft, daß Sander unfähig war, zu widersprechen. Trotzdem mißtraute er ihrer Selbstsicherheit. Es war nur zu offensichtlich, daß diese Fanyi meinte, sie würde ihn durch ihre Entscheidung auszeichnen. Aber er mußte zugeben, daß sie nicht unrecht hatte: bisher war er ziellos umhergezogen. Und falls sie tatsächlich einen Hinweis auf eine der verlorenen Städte besaß, wäre er besser beraten, er würde sie als Führerin anerkennen.
    „Also gut.“ Er blickte auf ihre Tiere. „Aber werden die auch einverstanden sein? Sie scheinen mir nicht so sicher, was die Klugheit unserer gemeinsamen Wanderung anbetrifft.“
    Zum erstenmal kräuselten sich ihre Lippen zu einem Lächeln. „Meine Freunde werden auch ihre Freunde. Aber was ist mit deinem bepelzten Tier, Sander-Schmied?“ Sie wies auf Rhin.
    Sander drehte sich zu dem Kojoten um. Zwischen ihnen beiden gab es eine sehr leise Art der Verständigung – anders als zwischen dem Mädchen und ihren Tieren. Sander wußte zwar nicht, wie tief diese Verbundenheit ging und ob sie sich in jeder Situation bewähren würde. Doch Rhin war durchaus bereit, mit ihm zu reisen, und er warnte zuverlässig vor Feinden. Aber ob er einen tagelangen engen Kontakt mit den sonderbaren Tieren akzeptieren würde, konnte Sander nicht voraussagen.
    Fanyi wandte den Kopf und blickte das größere ihrer bepelzten Tiere an. Eine Weile standen sie sich Aug in Aug gegenüber, und dann ließ sich das Tier auf die Vorderfüße nieder und verschwand im hohen Gras. Das andere Tier rührte sich nicht. Jetzt trat Fanyi einen Schritt vor und senkte ihren Blick in Rhins helle Augen. Sander beobachtete sie verärgert: was hatte sie für ein Recht, ihren Willen seinem Kojoten aufzuzwingen – denn, daß sie dies versuchte, war klar.
    Und wieder schien es, als hätte sie seine Gedanken gelesen: „Ich beherrsche diese beiden anderen nicht, Schmied. Es ist genug, wenn sie erfahren, daß wir alle zusammenleben können. Meine Tiere wissen, daß ich einen guten Grund habe, wenn ich sie mit einem Befehlsgedanken aufhalte. Und es gibt Gelegenheiten, da akzeptiere ich ihre Wünsche ebenso bereitwillig wie sie meine. Wir sind nicht wie Herr und Sklave. Nein, wir sind Freunde. Und so sollte es mit allen Lebewesen sein. So lehrt es uns die Kraft – uns, die wir leben, ihrem Ziel zu dienen. Ja, dein Kojote wird uns akzeptieren, denn jetzt weiß er, daß wir nichts Böses im Schild führen.“
    Das Tier, das verschwunden war, kam zurück. Mit dem Maul hatte es den Zipfel eines Bündels gefaßt, das es über den Boden schleifte und vor Fanyi ablegte. Sie öffnete die Schnüre und holte ein erdgraues viereckiges Stück Stoff mit einem Loch in der Mitte hervor. Sie streifte es über den Kopf und gürtete es mit einem gewebten Band. Das scharlachrote Gewand und der Schmuck waren vollständig von dem eintönig grauen Mantel verborgen. Ihr übriges Reisegepäck schien sich in zwei Taschen zu befinden, die mit Stricken zusammengebunden waren. Sander nahm sie ihr ab, als sie gerade Anstalten machte, sie über die Schultern zu werfen, und legte sie Rhin auf den Rücken. Er konnte nicht reiten, während sie zu Fuß ging, und sie beide würden zu schwer für den Kojoten sein.
    Fanyi pfiff, und die Tiere sprangen davon. Sander beruhigte sich ein wenig. Diese Tiere mußten sehr gute Kundschafter sein, falls Fanyi sich wirklich auf sie verlassen konnte.
    „Wie weit gehen wir?“ fragte er und bemerkte, daß sie sich mühelos seinem Tempo anpaßte.
    „Das weiß ich nicht. Meine Leute reisen nicht – reisten nicht“, korrigierte sie sich, „weit. Sie waren Fischer und bestellten die Felder entlang dem Flußlauf. Aber es kamen Händler vom Norden – in letzter Zeit vom Süden. Vom Süden“,
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