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Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
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mochte dem Tod nahe sein – er war sicher, nur der Wille des Sprechers hielt die Tiere zurück –, doch jetzt schüttelte er den Kopf.
    „Ich gehorche keinem Befehl eines Unbekannten, der sich in der Dunkelheit verbirgt“, gab er zurück. „Ich bin kein Jäger und füge den Menschen kein Leid zu.“
    „Blut schreit nach Blut, Fremdling“, fuhr ihn die Stimme barsch an. „Und du hast Blut auf deinem Weg zurückgelassen – das Blut meiner Leute. Wenn es Rache gibt, dann ist es an mir, sie zu üben, denn es lebt niemand mehr in Padford …“
    „Ich kam in eine Stadt der Toten“, erwiderte Sander. „Wenn du nach Blut zur Vergeltung von Blutvergießen suchst, dann mußt du woanders suchen, Fremdling. Als ich vom Süden her aufbrach, gab es nur die Toten, die zwischen den halbverbrannten Mauern lagen.“
    Das Licht war immer noch auf ihn gerichtet. Er erhielt keine Antwort. Doch, so meinte Sander, sprach es zu seinen Gunsten, daß der Fremde bereit gewesen war, sich auf eine Unterredung einzulassen, anstatt sogleich anzugreifen.
    „Es ist wahr, du bist kein Hai“, sagte die Stimme zögernd.
    Sander konnte die Worte verstehen. Doch der Akzent glich weder dem der Horde noch dem der Händler.
    „Wer bist du?“ Wieder war die Stimme scharf und befehlend.
    „Ich bin Sander und gehörte früher zu Jaks Horde. Und ich bin ein Schmied.“
    „Sooo?“ Die Stimme klang, als bezweifelte sie seine Worte. „Und wo stehen die Zelte deiner Horde heute nacht, Schmied?“
    „Im Westen.“
    „Und doch wanderst du nach Norden. Ein Schmied ist kein Wanderer, Fremdling. Oder liegt auf deinem Pfad eine Blutschuld?“
    „Nein. Mein Vater war Schmied. Er starb, und man hielt mich nicht für würdig genug, seinen Platz einzunehmen. So erbat ich mir das Recht, mich von der Horde zu entfernen …“ Er wurde ungeduldig; daß er diese Fragen aus der Dunkelheit beantworten mußte, ärgerte ihn. Und jetzt fragte er mutig: „Wer bist du?“
    „Niemand, der sich mit Fremdlingen einläßt!“ gab die Stimme zurück. „Es scheint aber, daß du die Wahrheit sprichst. Also wirst du heute nacht nicht unsere Beute sein.“
    Plötzlich war das Licht erloschen. Er hörte Geräusche in der Finsternis. Rhin jaulte erleichtert auf. Kojoten konnten zwar mutige Kämpfer sein, wenn sie wollten, doch war es offensichtlich, daß Rhin es vorzog, die Tiere und deren Herrn in sicherer Entfernung zu wissen.
    Sander spürte, wie die Spannung nachließ. Die Stimme war verschwunden und mit ihr die sonderbaren Jagdhunde. Er lehnte sich zurück und schlief nach einer Weile ein.

Die Zauberpriesterin

    Sander träumte heftig: tote Männer standen auf und kamen ihm mit zerbrochenen Waffen entgegen. Hin und wieder fuhr er hoch, in Schweiß gebadet und unfähig, zu unterscheiden, was Traum und was Wirklichkeit war. Dann konnte er manchmal das tiefe Knurren von Rhin hören, so als habe der Kojote etwas Bedrohliches gewittert. Doch die Stimme und das Licht waren endgültig verschwunden.
    Als die erste graue Helligkeit die Finsternis der Nacht durchsichtig machte, war Sander zum Aufbruch bereit. Das schien ihm ein unheimliches Land zu sein; aber vielleicht waren es die Seelen der unbegrabenen Toten, die auf seinem Gemüt lasteten. Jedenfalls war es besser, so rasch wie möglich den Ort zu verlassen. Trotzdem ließ er sich Zeit genug, um den Boden dort zu untersuchen, wo am Abend vorher die fremdartigen Tiere gesessen hatten. Und das war mit Sicherheit kein Traum gewesen, denn er fand tiefeingedrückte Spuren von Pfoten und Krallen.
    Etwas entfernt entdeckte er einen weiteren Abdruck, der von einem Menschen stammen mußte. Rhin schnüffelte an den Spuren und begann erneut zu knurren.
    Sander hielt sich nicht mit dem Frühstück auf, sondern schwang sich in den Sattel. Rhin trabte los, so daß sie sich bald mitten im offenen Grasland befanden. Der Kojote scheuchte ein paar Vögel auf, und Sander lud seine Schleuder mit Kieseln und erlegte zwei von ihnen. Wenn sie erst weit genug entfernt waren, so daß sie ein Feuer entzünden konnten, würden sie wenigstens etwas zu essen haben.
    Er hielt geradewegs auf die dunkle Linie des Waldes zu. Hier in der ungeschützten Ebene fühlte er sich unbekannten Gefahren ausgesetzt – eine Erfahrung, die er als Bewohner des flachen Landes nie zuvor gemacht hatte. Während des Rittes versuchte er, Spuren zu entdecken, die ihm den Weg der Stimme zeigten. Aber er fand keine einzige.
    Energisch verbot er sich, einen Blick zurück
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