Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
Vom Netzwerk:
Felsbrocken, die fast den Anschein erweckten, auch sie hätten sich eng aneinander geschmiegt, um sich gegenseitig zu schützen.
    Er rupfte Hände voll Gras aus und polsterte das Lager wie ein Nest aus. Dann holte er die getrockneten Fische hervor und teilte sie mit Rhin. Für gewöhnlich ging der Kojote auf Jagd, doch an diesem Abend, so schien es, wollte er Sander nicht verlassen.
    Der junge Mann sah zu, wie sich die Dämmerung herabsenkte; spürte den kalten Lufthauch, der vom Meer herüberwehte und den fremdartigen Geruch des Wassers mitbrachte, und beobachtete aufmerksam das offene Land. Er hörte nur das Schwappen der Wellen und die Schreie der Vögel. Auch Rhin, der die Ohren aufgestellt hatte, schien aufmerksam zu lauschen, zeigte aber noch keine Anzeichen wirklicher Unruhe.
    Obwohl Sander erschöpft war, konnte er nicht schla fen. Über ihm wölbte sich der Himmel, und die Augen der Nacht glitzerten. Die Weisen sagten, das seien andere Sonnen, weit, weit entfernt, und um sie würden vielleicht auch Welten kreisen, die wie ihre eigene Welt beschaffen waren. Für Sander aber waren es immer die Augen einer fremden, stets wachsamen Kreatur gewesen, die das kurze Leben der Menschen gleichmütig betrachteten. Er versuchte weiter an die Sternaugen zu denken, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu den Schrecken der geplünderten Stadt zurück. Wie mochte es sein, überlegte er schaudernd, plötzlich von blutrünstigen, mordlustigen Männern überfallen zu werden, die aus dem Meer stiegen?
    Auch die Horde hat um ihr Leben gekämpft, aber nur ein einziges Mal – soweit sich Sander erinnern konnte – gegen Geschöpfe ihrer eigenen Rasse. Das waren entsetzliche Menschen gewesen mit heller Haut und hellen, wilden Augen. Sie waren gekommen, um die Herden zu rauben. Ansonsten aber kämpften sie meist nur gegen die Kälte, gegen den Hunger, gegen die Krankheiten, die sie und die Tiere befielen, und führten Krieg gegen diese Unbillen selbst und nicht gegen andere Menschen. Ihre Schmiede formten Waffen allein für diese Kämpfe.
    Sander hatte Geschichten von den Sklavenjägern aus dem Meer gehört. Und manchmal hatte er geglaubt, auch sie wären Erfindungen der Händler, die es nicht dulden wollten, daß Menschen in die Gebiete eindrangen, die sie als ihre Rohstoffquellen betrachteten. Doch nach dem heutigen Tag konnte er sich vorstellen, daß der Mensch tatsächlich grausamer war als ein Wintersturm. Er zitterte – nicht weil die Meeresbrise kühl war, sondern weil er sich vorstellte, was ihn in der unbekannten Wildnis alles erwarten mochte.
    Sander streckte eine Hand aus, um Rhins Fell zu spüren. Im selben Augenblick sprang der Kojote auf die Füße. Sander hörte sein warnendes Knurren. Rhin blickte nicht hinaus aufs Meer, sondern auf das offene Land. Offenbar war er überzeugt, daß etwas Bedrohliches durch die Nacht strich.
    Da man kaum etwas erkennen konnte, war der Pfeilwerfer nutzlos. Sander zückte sein langes Messer, das ihm am Gürtel hing und das genau genommen ein Dolch war. Er erhob sich auf ein Knie und lehnte sich gegen die Felsen, die seinen Rücken schützten, und lauschte. Vor sich glaubte er eine leichte Bewegung wahrzunehmen. Rhin knurrte wieder; und jetzt spürte Sander einen vagen Moschusgeruch. Er bildete sich ein, einen Schatten gesehen zu haben, doch hatte dieser sich so behende bewegt, daß er seinen Umriß nur ahnen konnte.
    Dann hörte er ein Zischen, das sich zu einem lauten Fauchen verstärkte. Rhin trat mit steifen Beinen einen Schritt nach vorn, jederzeit bereit, einem Angriff zu begegnen. Sander bereute es jetzt, daß er kein Feuer entzündet hatte.
    Doch das Ding griff nicht an, wie Sander es eigentlich erwartet hatte. Er hörte das herausfordernde Zischen und erkannte aus Rhins Haltung, daß er den Gegner für sehr gefährlich hielt. Aber immer noch hielt sich die Kreatur außerhalb seines Gesichtskreises auf. Plötzlich ertönte ein Pfiff; gleich darauf blendete Sander ein greller Lichtstrahl. Abwehrend hatte er die Hände erhoben, und jetzt konnte er das Tier sehen: es glitt auf ihn zu und ähnelte eher einer Schlange als irgendeinem bepelzten Geschöpf. Es hob sich auf die Hinterbeine, so daß sein Kopf beinahe in gleicher Höhe mit dem von Sander war. Hinter ihm kauerte ein zweites Tier von der gleichen Art, nur dunkler und kleiner. Keines der beiden Tiere trug das Licht.
    „Steh auf!“ Der Befehl kam aus der Richtung der Lichtquelle. „Wirf das Messer fort!“
    Sander
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher