Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrscher über den Abgrund

Herrscher über den Abgrund

Titel: Herrscher über den Abgrund
Autoren: Andre Norton
Vom Netzwerk:
Der Fremde aus der Nacht

    Die dicke Wolke fettschwarzen Rauchs, die auf der anderen Seite der Bodenerhebung aufstieg, war eine deutliche Warnung. Sander glitt von Rhins Rücken und schlich den Hang hinauf. Sein Reittier, das ebenso wie er vorsichtig und leise die Füße aufsetzte, folgte ihm. Seit Tagen waren sie auf keine Siedlung gestoßen, und der Vorratssack, der noch immer am Sattel von Rhins Rücken baumelte, war längst leer. Der Hunger rumorte in Sanders Eingeweiden. Es war ungewöhnlich: aber in diesem Landstrich hatte sich während der letzten vierundzwanzig Stunden nicht einmal die Spur eines jagdbaren Wildes gezeigt. Und die ein, zwei Handvoll unreifer Körner, die er von den Halmen gerissen hatte, reichten nicht aus, den Magen zu füllen.
    Vor fünf Tagen hatte Sander die Grenze des Gebiets überschritten, das Jaks Horde vertraut war. Als er den Kreis der Zelte hinter sich gelassen hatte, verbittert über die Behandlung, die man ihm angedeihen ließ, wandte er sich nach Osten, dem sagenhaften Meer zu. Denn damals schien es ihm durchaus möglich, seinen Plan zu verwirklichen. Er wollte die alten Geheimnisse ergründen, mit deren Hilfe er das Metall, das die Händler brachten, besser bearbeiten konnte. Wenn er heimkehrte, würde er Ibbets und den anderen entgegentreten und sie zwingen, zuzugeben, daß er kein nutzloser kleiner Lehrling, sondern ein Schmied der Alten Weisheit war. Auf der langen Reise durch die fremde Wildnis hatte er zwar gelernt, vorsichtig zu sein, doch seine Wut und Empörung gegen Ibbets Herabsetzung waren nicht geringer geworden.
    Er zwängte sich zwischen zwei Felsbrocken und zog die Kapuze weit ins Gesicht, damit ihn der graue Stoff zwischen den grauen Steinen unsichtbar machte. Denn obgleich er kein Jäger war, hatte er doch, wie alle Kinder von Jaks Horde, die Kunst der Tarnung erlernt und verstand es, sich Unbekanntem gegenüber so lange verborgen zu halten, bis er sicher sein durfte, daß ihm keine Gefahr drohte.
    Ein weites Tal lag vor ihm, durch das sich ein Fluß wand. Dort, wo der Fluß in einen größeren See einmündete – Sander konnte nur den einen Uferstreifen sehen, der durch den Fluß unterbrochen wurde –, erhoben sich einige Gebäude: ein kleines Dorf. Die hölzernen Unterkünfte schienen für die Dauer gebaut zu sein – anders also als die Tierhautzelte von Jaks Horde, die man mühelos transportieren konnte. Aber jetzt zeigten sich hier und dort kleine Feuerzungen und bedrohten die Gebäude.
    Trotz der Entfernung erkannte Sander leblose Gestalten, die am Flußufer lagen. Hier mußte ein Überfall stattgefunden haben, folgerte er aus dem Anblick. Vielleicht waren es die gefürchteten Seehaie aus dem Süden gewesen. Er vermutete, daß er keinen lebenden Menschen mehr antreffen würde.
    Das Feuer, hauptsächlich entlang des Fluß- und Seeufers, fraß sich nur langsam vorwärts. Einige Gebäude schienen noch unberührt von den Flammen. Obwohl sie wahrscheinlich ausgeraubt waren, bestand Hoffnung, daß nicht alle Vorräte hatten fortgeschafft werden können – immerhin war gerade Erntezeit. Seine Leute – oder vielmehr die, die er dafür gehalten hatte – waren, als er aufbrach, gerade damit beschäftigt gewesen, zu jagen und von dem erlegten Fleisch Vorräte anzulegen. Sie durchzogen als Nomaden weite Landstriche der inneren Gebiete, aber Sander hatte aus den Erzählungen der Händler erfahren, daß anderswo Menschen völlig anders lebten. An manchen Orten hatte sich eine Sippe fest angesiedelt und ernährte sich vom Ertrag ihrer Felder. Und hier in dieser fast völlig zerstörten Siedlung hatten sie wahrscheinlich auch Fische gefangen. Sein Magen knurrte, und er veränderte seinen Standpunkt ein wenig, um die Szene deutlich überblicken zu können. Er wollte ganz sicher sein, daß er nicht in einen Hinterhalt geriet, wenn er sich hinunterwagte.
    Rhin winselte leise und stieß Sander mit der Schnauze an. Sein gelb-braunes Fell wurde bereits dichter. Er öffnete das Maul ein wenig, so daß die spitze Zunge sichtbar wurde. Mit wachsam aufgestellten Ohren beobachtete er das brennende Dorf. Aber er verhielt sich eigentlich genau wie immer, wenn er sich einer neuen Situation gegenüber sah.
    Er blinzelte nicht mit den grünen Augen, und der buschige Schwanz bewegte sich nicht. Unbekümmert, ob man ihn von dem Dorf aus entdecken konnte, hockte er auf den Hinterbeinen und reckte den Kopf über die Felsen. Sander verließ sich auf Rhin, denn er verfügte über besondere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher