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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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fuhren bei dem plötzlichen Gedröhn so zusammen, dass einer von ihnen das Gleichgewicht verlor und herunterfiel. Er schrie erst vor Schreck, dann vor Schmerz, und blieb liegen. Ada lief los und erreichte ihn fast so schnell wie die beiden Jungen, die vom Wagen geklettert kamen.
    »Sofort kommst du zurück. In den Wagen. Konrade!«, hörte sie Stechinelli hinter sich zetern.
    Draußen war das zerlumpte Heer in Bewegung gekommen. Die Anführer hatten zum Angriff gerufen, bevor alle wegliefen.
    »Wo hast du dir wehgetan?« Ada hockte sich zu dem Jungen.
    »Überall«, jammerte der, setzte sich mit verzerrtem Gesicht auf und rieb sich die schmerzenden Stellen. Schlimm konnte es also nicht sein.
    »Macht, dass ihr in eure Wagen kommt, ihr lütten Dösköppe.« Herr Knoop, einer von zwei Hamburger Kaufleuten des Zuges, stieß zu ihnen. »Und Ihr man auch. Eurem Herrn Paten platzt sonst der oberste Knopp ab. Und Ihr wollt Euer Leben doch noch haben, wenn Euer neuer Mann nachher wiederkommt, nech?«
    Ada sah zu dem ungeordnet strömenden Heerhaufen. Der Lärm war ohrenbetäubend, die Geschütze dröhnten und knallten ohne Unterbrechung, die Menschen schrien durcheinander, und die Reiter waren hinter dem Hügel in einer Senke verschwunden. »Der kommt nicht wieder«, sagte sie, holte tief Luft und sah dem Hamburger in die Augen. »Der kommt nicht wieder.«
    Knoop lächelte mitfühlend. »Ist schon recht, wenn Ihr das Schlimmste annehmt. Ihr müsst das Schlimmste annehmen, aber bereit sein und schnell zugreifen, wenn es besser kommt.«
    Ada nickte, raffte ihre Röcke und ging zu ihrem Wagen, den ihr Pate nicht verlassen hatte, seit Eilert mit der Truhe hineingestiegen war.
    Stechinelli saß mit der geöffneten Bibel auf den Knien da, hielt ihr aber die Tür auf, als sie einstieg. »Sogar für ein Weib zeigst du wenig Verstand. Setz dich dahin und bete für uns.«
    Ada setzte sich neben ihn, Eilert gegenüber, der sich mit gefalteten Händen in eine enge Nische neben ihre Gepäckstücke gedrückt hatte. Neben ihm auf dem Sitz, bedeckt von einem Berg ihrer eigenen Sachen, stand von der Wenthes Truhe. Rötliche Eiche, eisenbeschlagen. So unzugänglich hatte Eilert sie dort verstaut, dass Stechinelli noch keine Gelegenheit gehabt haben konnte, darin zu spionieren. Ada bedauerte, dass auch sie selbst keine Möglichkeit dazu hatte. Sollten sie es tatsächlich bis nach Lüneburg schaffen, wäre ihr Vater der Erste, der sich das Recht nehmen würde, den Inhalt zu untersuchen. Sie musterte die stabile Kiste und stutzte. Das Schloss wirkte stark und sicher. So schnell würde diese Truhe niemand öffnen, auch sie nicht, denn sie hatte keinen Schlüssel dafür bekommen. Die Ereignisse um sie herum kamen ihr auf einmal so verrückt und unwirklich vor, dass sie bei dieser Feststellung beinahe gelacht hätte.
     
    Stechinelli las laut aus der Bibel vor. Seine Stimme hetzte durch die Psalm-Verse, trotzdem waren die Worte gut zu verstehen, wenn man sie verstehen wollte. »Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen. Darum werden wir uns nicht fürchten, wenngleich …« Ada wunderte sich immer, wie ein so kleiner, dünner Mann so laut sprechen konnte. Angenehm klang seine Stimme dabei nicht, die Tonlage war zu hell und zu flach. Ohnehin wollte sie dem Bibelwort nicht folgen, sondern lieber ihr eigenes kleines Gebet sprechen. Daher blendete sie seine Stimme aus, wie sie es auch in der Kirche mit dem Pastor oft tat. Früher, als sie noch bei ihrem Vater wohnte, hatte sie das nicht gedurft, denn der prüfte alle Mitglieder seines Haushaltes nach den Gottesdiensten mit Fragen. So würde Matthias Märtens es ihm nachmachen und sich deswegen für einen guten Menschen halten. Aber gefiel ein Mann, der seinem Kind befehlen würde, den gehüteten Viertelschilling zur Buße in die Kollekte zu geben, weil es bei der Predigt nicht jedes Wort verfolgt hatte, Gott wirklich besser?
    Draußen krachte eine gewaltige Folge von Schüssen. Der Wind trieb den schwefligen Pulvergestank in Schwaden zu ihnen herüber. Ada faltete die Hände und bemerkte den Ring an ihrem Finger. Sie hatte zwar gewusst, dass er da war, ihn aber nicht genau angesehen. Kummervoll zog sie ihn ab, um ihn zu betrachten: Gold, ein großer grüner Stein, zwei kleine weiße daneben. J.K. 1622 stand auf der Innenseite. Es machte ihr nichts aus, dass die Gravur nichts mit ihrer Hochzeit zu tun hatte. Immerhin hatte von der Wenthe sich die Mühe gemacht,
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