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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Autoren: Hans-Henner Hess
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»ohne Beweis kein Preis« – soviel hatte er als Anwalt inzwischen immerhin dazugelernt! Doch saudumm: Ohne die SD -Karte, die er dem Recknagel jüngst überlassen hatte, wollte das verflixte Gerät nicht aufnehmen! Da musste er sich einmal mehr auf die eigenen Augen und Ohren verlassen, wie in der Steinzeit.
    Auch heute war in der gesamten Etage kein Pfleger anzutreffen, auf den Zimmern lastete dieselbe drückende Stille, die nur vom Surren der Magensonden gestört wurde. Und genau wie bei seiner ersten Visite auf dieser »Etage des Vergessens« schauderte ihm beim Anblick der vielen schlafenden oder wachschlafenden Gestalten. Ein etwa sechzigjähriger, schlecht rasierter Mann saß vor einem Schachbrett, doch es standen nur zwei Könige auf dem Spielfeld. Mit leerem Blick zog der Mann die Könige abwechselnd kreuz und quer über das Feld, wie gefangen in einer endlosen Jagd nach dem erlösenden Matt.
    Der Fickel riss sich von dem Anblick los und eilte auf der Suche nach seiner Vermieterin von Zimmer zu Zimmer. Dabei machte er eine grauenhafte Entdeckung, als er an eine Tür gelangte, auf der »Privat – kein Zutritt!« stand. Beinahe wäre der Fickel, dem Verbot instinktiv folgend, daran vorbeigegangen. Aber dann besann er sich auf seine Mission und drückte die Klinke hinunter.
    Hinter der Tür befand sich kein herkömmliches Krankenzimmer, sondern eine regelrechte Wohnung mit Küche, Bad und einem größeren Raum, der wie ein Kinderzimmer hergerichtet und mit Spielzeug und moderner Unterhaltungselektronik bestens ausgerüstet war. Der Geruch von Fruchtkaugummis hing noch in der Luft, an der Wand war zwischen den Abrafaxen [ 52 ] und einem Delfinposter ein Foto des jungen Peter Kminikowski angebracht. Dem Fickel fiel es beim Anblick des Bildes wie Schuppen von den Augen: Diese Wohnung war nichts anderes als der goldene Käfig, in dem der Landrat seinen Sohn vor den Augen der Welt versteckt gehalten hatte.
    Nach dem Verlassen des »Kinderzimmers« fiel dem Fickel auf dem Flur eine weitere unscheinbare Tür auf, die in ein zweites Nebengelass führte. Hier war es wieder stockfinster. Aber mithilfe des Handydisplays fand er sich einigermaßen zurecht. Auch in diesem schmalen, schlauchartigen Raum stand ein Krankenbett, und der Fickel musste tatsächlich dreimal hinsehen, bevor er seine alte Freundschaftspionierleiterin erkannte, die dort scheinbar friedlich schlief. Ihr Gesicht war nur leicht gealtert und wirkte kaum wie das einer Fünfzigjährigen, doch ihre Haare waren grau wie der einstige Alltag im Sozialismus. Und wenn der Fickel noch irgendeinen Zweifel gehabt hätte, dass er wirklich und leibhaftig Heike Dietz, verheiratete und geschiedene Exner, vor sich hatte, dann hätte ein Blick auf die Bettdecke genügt, denn die altbekannte Wölbung in Brusthöhe war nicht zu übersehen.
    In Fickels Oberstübchen fing es jetzt natürlich nur so an zu rattern. Der Exner hatte zwar nicht seinen Ehering, dafür aber seine Ehefrau abgelegt! Wie der Fickel seine ehemalige Freundschaftspionierleiterin kannte, war es gut möglich, dass sie das Abzocken und Sedieren wehrloser Menschen moralisch nicht hatte mittragen wollen und von ihrem Exmann und ihrer Schwester deshalb ausgeschaltet worden war. Während Heike Exner unter dem Dach vor sich hinvegetierte, konnten die anderen beiden in dem Pflegeheim schalten und walten, wie sie wollten. Inzwischen traute der Fickel seinem Staatsbürgerkundelehrer jede Skrupellosigkeit zu.
    Schaudernd ließ er die »Privaträume« hinter sich und setzte seine Suche mit gesteigerter Intensität fort. Am Ende des Gangs befand sich ein letztes Zimmer, das der Fickel bislang noch nicht betreten hatte. Als er dort leise hineinging, fand er endlich seine Vermieterin, die mit Kopfhörern im Bett lag. Auch sie schien weggetreten, aber ihre Augen waren weit geöffnet. Glücklich, sie gefunden zu haben, nahm ihr der Fickel die Kopfhörer ab und sprach sie mit ihrem Namen an. Die Frau Schmidtkonz zeigte jedoch keinerlei Anzeichen, dass sie ihren Mieter überhaupt erkannte – an Aufstehen war gar nicht zu denken.
    Doch der Fickel war in seiner Jugend nicht umsonst Anschieber bei den Bobfahrern in Oberhof gewesen. Mit wahren Urkräften hob er seine hilflose Vermieterin aus ihrem Bett, wuchtete sie sich über die Schulter und trug sie wie ein Paar Sprungski über den Flur Richtung Ausgang. Alles schien ruhig, kein Mensch würde die Entführung bemerken.
    Doch zu früh gefreut. Als der Fickel gerade den
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