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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Autoren: Hans-Henner Hess
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natürlich auf dem Computer geschrieben worden waren und nicht etwa von Hand, sodass man den Verfasser mit einem kalligrafischen Gutachten hätte identifizieren können.
    Aber das waren noch nicht die einzigen Merkwürdigkeiten. Den Kriminalrat wunderte auch, dass der Fickel nicht mehr ans Telefon ging. Einerseits verständlich, dass er sich dem Trubel um seine Person nach der Freilassung seines Mandanten entzog. Vielleicht steckte er wirklich gerade in irgendeiner Strandbar auf Ibiza, Fuerteventura oder Bali, wie der Rainer Kummer vermutete. Andererseits schätzte der Kriminalrat den Fickel von seiner Persönlichkeitsstruktur her eher nicht so ein, dass er in irgendeinem Rentnerparadies untertauchte.
    In einem funktionierenden Rechtsstaat wie Deutschland steht die Funkzellenabfrage, wie jeder Grundrechtseingriff, unter Richtervorbehalt. Die Polizei darf natürlich nicht einfach willkürlich und nach eigenem Gutdünken Bewegungsdaten einzelner Bürger abfragen. Und so biss der Recknagel bei der Oberstaatsanwältin Gundelwein zuerst auf Granit, als er sein Anliegen vorbrachte, den Fickel durch Ortung seines Handys zu lokalisieren – wobei neben rechtsstaatlichen Erwägungen bei der Gundelwein gewisse persönliche Animositäten durchaus auch eine Rolle spielen mochten. Aber als der Recknagel weitere drei Tage lang nichts vom Fickel hörte und in dessen Wohnung der Briefkasten überquoll, ermannte sich der Kriminalrat und wurde nochmals bei der »Herrin des Ermittlungsverfahrens« vorstellig.
    Diesmal nahm er jedoch etwas mit, das die Meinung der Gundelwein sicher zu beeinflussen in der Lage war: eine winzige SD -Karte. Die Oberstaatsanwältin sah die verwackelten Bilder, die der Fickel vom Balkon des Landrats aus aufgenommen hatte, äußerlich unbewegt auf ihrem Laptop an. Als der Film zu Ende war, war es so still im Raum, dass der Recknagel meinte, die Kariesbakterien beim Schürfen in seinem letzten original erhaltenen Backenzahn zu hören.
    »Woher haben Sie diesen Film?«, fragte die Gundelwein überflüssigerweise.
    »Von Ihrem Exmann«, antwortete der Kriminalrat wahrheitsgemäß.
    »Dann leiten Sie sofort ein Strafverfahren gegen ihn ein!«
    Der Recknagel glaubte, sich verhört zu haben.
    »Paragraf zwohunderteins, Absatz eins, erste Alternative S t G b: Verletzung des persönlichen Lebensbereichs durch Anfertigung von illegalen Filmaufnahmen«, erläuterte die Oberstaatsanwältin ungerührt.
    »Aber … Ihr Exmann hat Ihnen doch offenbar aus einer recht … unangenehmen Lage geholfen.«
    »Und wenn schon! Er hat mich auch schon in eine viel unangenehmere Lage gebracht !« Die Gundelwein blickte unversöhnlich über ihren Schreibtisch. »War’s das?«
    Der Kriminalrat versuchte einen letzten Vorstoß. »Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hat der Kollege Fickel verhindert, dass Sie der kleine dicke Glatzkopf gegen Ihren Willen … also quasi vergewaltigt hat!«
    »Soll ich mich etwa noch bei ihm bedanken?«, donnerte die Gundelwein. »Laden Sie ihn gefälligst vor!«
    »Das würde ich gern«, replizierte der Kriminalrat schnell, denn auf die Antwort hatte er gewartet. »Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt.«
    Jetzt hatte der Recknagel die Oberstaatsanwältin endlich so weit, dass sie bereit war, ihr juristisches Hochleistungsgehirn einzuschalten und über die Vorgänge der letzten Zeit noch einmal völlig neu und unbefangen nachzudenken. Der Kriminalrat musste ihr alles erzählen, was er wusste: von Fickels Verdacht gegen den Landrat bis hin zu seinen Ermittlungen im Seniorenheim.
    Den ganzen folgenden Nachmittag über sah man die Gundelwein Berge von Akten studieren. Sie las alles, was sich über »Nachbarn in Meiningen« e. V. finden ließ, über den Exner und dessen Exfrau – die Leiterin der Thüringer-Wald-Residenz, die von ihren Verwandten seit geraumer Zeit als vermisst gemeldet war –, sogar die langweiligen Betreuungsakten blätterte sie durch.
    Der neue Amtsgerichtsdirektor Leonhard staunte nicht schlecht, als die Oberstaatsanwältin am nächsten Tag mit ihrem Anliegen vor seinem Richtertisch stand. »Erst sterben die Richter wie die Fliegen, jetzt verschwinden auch noch spurlos Anwälte!«, fasste er kopfschüttelnd zusammen.
    Streng genommen reichten die vorgelegten Tatsachen rechtlich nicht für eine Funkzellenabfrage aus. Aber der Ermittlungsrichter Leonhard stammte bekanntlich aus dem Freistaat Bayern und hatte daher eine ganz eigene Meinung zu Persönlichkeitsrechten. Einige
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