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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich
Autoren: Pelle Sandstrak
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Regal mit dem Kaffee links vor dir, nimm das erste Paket Zoégas. Geh zurück, bezahle an der Kasse, zurück über Türschwelle Nummer zwei, raus aus dem Laden, am Springbrunnen vorbei, durch den kleinen Park, grünes Männchen, über die Straße, überquere Türschwelle Nummer eins an der Haustür, und jetzt bist du wieder zu Hause.«

    Das wiederhole ich fünfmal am Tag, sieben Tage die Woche.

    Lasse geht hinter mir her, die rote Pudelmütze auf dem Kopf. Er drückt mir den Finger ins Rückgrat – darüber haben wir einen Vertrag geschlossen –, wenn ich versuche auszuweichen oder ein Ritual auszuführen, anstatt vorwärts zu gehen, in den Laden rein. Auch im Laden spüre ich immer noch Lasses Finger im Rücken. Er ruft in breitestem Skåne-Dialekt, so dass jeder im Laden es hört:

    »Nimm das erste Paket Zoégas, nicht Paket Nummer neun ganz hinten, das ööööörste Pakääääät Zoégas, DAS ÖÖÖÖÖRSTE PAKÄÄÄÄÄÄT ZOÉGAS .«

    Ich nehme das erste Paket Zoégas und bezahle an der Kasse – zum vierten Mal an diesem Tag. Die Kassiererin sieht uns verwirrt an und fragt sehr erstaunt:

    »Schon wieder Kaffee?«

    Ich verlasse die Kasse mit einem grünen Paket Zoégas in der einen Hand, und als ich einen gewissen Zeigefinger im Rücken verspüre, habe ich keine andere Wahl: Die Türschwelle muss im ersten Versuch genommen werden.

    Einige Monate später beschließen wir, unsere Sitzungen und Übungen ein paar Wochen lang auszusetzen. Und die Pause wird gut, sie gibt mir die definitive Gewissheit, dass ich – vielleicht – auf dem Weg bin, den Kampf gegen die Zwänge zu gewinnen. Doch wird es das Wort »vielleicht« immer geben. Es wird nie verschwinden, der Gedanke an Rückfälle macht mich krank und depressiv. Aber ich erkenne, dass ich bereits große Fortschritte erzielt habe, und vielleicht ist der Erfolg gekommen, um zu bleiben. Vielleicht wage ich wieder zu leben, und diesmal ohne Netz und doppelten Boden. Vielleicht habe ich ja keine andere Wahl. Und außerdem will ich etwas zurückgeben für all die Hilfe, die ich erfahren habe.

    Die beste Art und Weise, seine Helfer zu ehren, ist, die Hilfe anzunehmen.

    Die drei Böcke mit Namen Bruse haben das alles um meinetwillen getan. Mindus hat mich aufgelesen. Lavander ließ mich durch die Hintertür gehen, Lasse torpedierte die Rituale durch seine perfekte Informationsarbeit. Gar keine Frage: Ich musste ja sagen und die Hilfe annehmen. Was wäre sonst, wo wäre ich sonst gelandet?

    Sie haben es um meinetwillen getan.

    Lasse ist in der Stadt, in der er wohnte, mit einer roten Pudelmütze herumgelaufen, und das mitten im Mai. Es war ihm völlig egal, ob ihn die Leute erkannten oder über ihn lachten:

    »Du sollst gesünder werden, und ich habe ja mein Gehalt.«

    Er ist zu seinem Klinikchef gegangen und hat um 5.250 Kronen für den Einkauf von Zoégas-Kaffee gebeten (es wurden ziemlich viele Pakete, viele Tassen, viele Einkäufe daraus). Der Klinikchef hat ihn gefragt, ob der Kaffee für das Personal sei. »Nein, wir haben da einen Norweger, der hat Probleme mit Gehirnsaft.« Und der Klinikchef hat ja gesagt. »Natürlich. Sein Leben ist die 5.250 Kronen locker wert, mach nur weiter.«

    Wir sitzen in Lasses Zimmer, mitten in der Gehirnsafttherapie.

    Lasse fragt:

    »Was ist Gehirnsaft, wo gibt es den denn?«

    »Wo es den gibt?«

    »Wo können wir in unserer Gesellschaft Gehirnsaft sehen?«

    »Operation, Obduktion …«

    »Sollen wir mal nachschauen?«, fragt Lasse und ruft den Pathologen an.

    Wir befühlen den Bohrer, der bei der Obduktion das Stirnbein aufsägt. Hier muss Gehirnsaft dran gewesen sein. Lasse fühlt erst, dann ich. Aber es ist nicht gefährlich. Viel gefährlicher ist, ein Paket Zoégas anzufassen. Wer kann schon die Logik des Gehirns erklären? Niemand. Die Logik liegt in der Magie. Und die Magie kann nur der Gedanke erklären.

    Alles wird leichter. Jetzt geht es vorwärts und aufwärts. Ich werde Lasse mehrere Jahre lang treffen. Zwischendrin machen wir Pausen, die bis zu einem Jahr währen können. Dann, wenn die Rückfälle kommen, was zu Anfang ziemlich oft geschieht, sehen wir uns wieder und arbeiten weiter, wiederholen frühere Sitzungen und Übungen. Und dann lässt der Druck wieder nach, und ich schieße nach vorn und aufwärts.

    Unsere letzte dokumentierte Sitzung findet 1997 statt.

    Auch danach treffen wir uns noch, aber da brauche ich keine Sitzungen mehr, jetzt hat die Gesundheit das Ruder übernommen. Dann
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