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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich
Autoren: Pelle Sandstrak
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muss abbrechen.

    Aber wir trainieren, jeden Tag, vier Tage die Woche, zwei Stunden pro Sitzung.

    Dann bekomme ich als Hausaufgabe, dreimal täglich nach dem Band zu duschen. Morgens, mittags und abends. Ich gehe ins Badezimmer, schalte den Kassettenrecorder ein und kämpfe weiter gegen die Rituale, wieder und wieder, Tag für Tag, Woche um Woche. Und dann geschehen plötzlich Dinge. Ich schaffe es, seiner Stimme acht Minuten lang zu folgen, ohne abzubrechen. Am nächsten Tag sind es acht Minuten und zwanzig Sekunden, am nächsten elf Minuten und dreißig Sekunden. Nach einem Monat schaffe ich es, seiner Tonbandstimme vierzehn Minuten lang zu folgen und das Duschrezept umzusetzen. Glück. Freude. Dann folgt ein Rückfall nach dem anderen, die ihrerseits wieder von einem Fortschritt nach dem anderen gefolgt werden. An manchen Tagen schaffe ich es, dreimal vierzehn Minuten zu duschen, an anderen schaffe ich es nicht einmal, in die Dusche hineinzukommen, ehe Lasses Tonbandstimme sagt:

    »Du nimmst das Handtuch mit der linken Hand und fängst an, den Körper abzutrocknen, und zwar höchstens dreißig Sekunden.«

    Aber ich spüre, dass etwas geschieht, zwei Schritte vor, einer zurück. Ich erkenne das Gefühl von der Arbeit mit der Türschwelle wieder, ich spüre, dass ich auf dem Weg ins Ziel bin. Wo ich, nach drei Monaten Arbeit, auch ankomme. Das feiern wir mit einer riesigen Menge Zimtschnecken und einer Thermoskanne voll Kaffee. Gevalia.

    Ich bin erschöpft, kann unmöglich arbeiten oder irgendwelche Projekte beginnen. Die Behandlung ist mental ungeheuer anstrengend, jeden Tag muss ich mich den Ritualen und den bösen Gedanken, Lasse und seinen erschöpfenden Sitzungen stellen. Außerdem habe ich scheußlich Angst vor der Hölle selbst: dem Rückfall. Je größer die Fortschritte in der Behandlung, desto größer wird die Angst vor dem Rückfall. Aber wir haben einen guten Rhythmus gefunden und haben in den letzten Monaten so große Fortschritte gemacht, dass wir beschließen, weiterzuarbeiten und das letzte Ritual auf der Höllenliste zu zerstören.

3. X, Z, Y

    Das Kaffeeritual, das es mir nicht erlaubt, Kaffee mit x oder z oder y im Namen zu trinken, hat mich unruhig und ängstlich gemacht. Die Buchstaben hinzuschreiben, über sie zu reden, sie auszusprechen, ist eine Sache, aber ich hätte nie gedacht, dass ich mich darauf einlassen würde, das Gefährliche zu trinken. Ein Gift zu trinken ist schließlich gefährlicher, als darüber zu reden. Deshalb fangen wir gleich mit dem Kaffee an.

    Ich muss mich selbst davon überzeugen, dass Zoégas mich nicht umbringen, anstecken oder zu einer hirntoten Missgeburt machen kann. Ich kann das Paket mit diesem Kaffee nicht ansehen oder anfassen. Und ich kann auch kein Paket Gevalia anfassen, das im Laden neben einem Paket Zoégas gestanden hat, denn das Gevaliapaket kann ja von dem Zoégaspaket angesteckt worden sein. Berührung steckt an. Selbst in Supermarktregalen.

    Tag 1.

    Lasse fragt:

    »Wieso ist Gevalia ein für gut befundener Kaffee?«

    Ich antworte:

    »Weil Gevalia der lateinische Name für Gävle ist, Gävle liegt im Norden, Norden ist kalt, kalt ist blau, Gevalia ist gut. 1 : 0 für Gevalia.«

    Lasse unterbricht mich, schockiert mich:

    »Aber das Gevaliapaket ist rot, das ist Blut. 1 : 1.«

    Zucken im Bauch, Schweiß, Geräusch. Das Gehirn arbeitet, die Gedanken schaffen vor dem Untergang noch:

    »Gevalia gewinnt, weil es fast neun Buchstaben im Namen hat. Neun ist eine gute Zahl. 2 : 1 für Gevalia.«

    Lasse sagt:

    »Bis morgen.«

    Tag 2.

    Wir unterhalten uns bei vier Tassen Kaffee.

    Ich merke langsam, dass es gehen könnte, unsere Sitzungen bringen Resultate. Ich kann inzwischen innerhalb gewisser Grenzen eine Türschwelle überqueren, eine Jacke anziehen, Kleider wechseln, mich waschen und duschen. Ich ritualisiere und zwangshandele immer noch, aber wenn ich zurückschaue und daran denke, wie ich vor nur wenigen Monaten gelebt habe, dann ist es, als hätte ich die Schlüssel zum Paradies selbst gefunden. Also haben Lasse und die Therapie gezeigt, dass es gehen kann, wir haben Ergebnisse vorzuweisen, die Methode funktioniert. Auch wenn ich an manchen Tagen zwei Schritte vor gehe, drei zurück und dann stundenlang vor einer Tür oder in der Dusche feststecke, geht es dennoch vorwärts. Das kann mir niemand nehmen. Und darauf weist Lasse auch hin.

    Also arbeiten wir weiter nach demselben Prinzip – meiner magischen Ritualwelt kann nur mit
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