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Herr Lehmann: Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regner
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fuhrte Karl sanft wieder auf die Liege. „Und trinken Sie mal einen Schluck." Er gab Karl den Becher. Karl hielt ihn in der Hand und starrte hinein. Der Arzt ging an den Schrank, schloß ihn auf und kramte darin herum. Als er wieder auftauchte, hatte er etwas in der Hand.
    Mund auf" , sagte er. Karl machte den Mund auf, und der Arzt warf etwas hinein, wahrscheinlich Tabletten, Herr Lehmann konnte das nicht genau erkennen, und dann fuöhrte er Karls Hand mit dem Becher an seinen Mund und ließ ihn trinken. „Schön runterschlucken."
    Der Arzt wartete ein Weilchen und beobachtete Karl dabei. Dann fuhlte er noch einmal seinen Puls und nickte dazu. Karl entspannte sich.
    Legen Sie sich ruhig hin, wenn Ihnen danach ist", sagte der Arzt und hob Karls Beine auf die Liege. „Sie waren ja nun lange genug auf den Beinen." Er sah ihm noch einige Zeit beim Liegen zu, dann setzte sich der Arzt wieder Herrn Lehmann gegenuöber auf den Stuhl. Herr Lehmann schaute immer noch zu Karl hinuber, aber der schien sich wohl zu fuhlen und lag ganz ruhig da.
    Also, koörperlich fehlt ihm nichts Ernstes" , sagte der Arzt und schrieb etwas in seine Papiere. Er ist ein bißchen dehydriert, wahrscheinlich auch ein Mangel an Elektrolyten."
    Mangel an Elektrolyten?"
    Ja. Wundert Sie das?"
    „Naja, er ist ein großer Freund des Kartoffekhips." Herr Lehmann fuhlte sich erleichtert. Es ist gut, wenn man die Profis ranlößt, dachte er. Das ist wie mit Gasherden und so, dachte er, da fummelt man ja auch nicht selbst dran herum, dann fliegt einem sonst noch alles um die Ohren.
    „Und nicht nur des Kartoffelchips, wurde ich mal sagen. Sieht so aus, als ob er alles mögliche mag. Und Sie? Trinken Sie viel Bier?"
    Ja, wieso?"
    „Das sieht man ein bißchen, nehmen Sie's mir nicht ubel, aber das schwemm auf. Im Gegensatz zu Wein. Andererseits brennt die Leber bei Bier nicht so schnell. Naja, jeder wie er kann."
    Er schrieb wieder ein bißchen in seinen Papieren herum.
    Was ist denn nun mit ihm?" fragte Herr Lehmann ungeduldig.
    „Der durfte gleich einschlafen. Das ist erst mal das Wichtigste. Spater muß man weitersehen. Wir sollten ihn auf jeden Fall uber Nacht hierbehalten. Naja . . . ", er schaute zu Karl hinuöber, der jetzt zu schnarchen begonnen hatte, „den wurden Sie jetzt auch kaum wieder mitnehmen können, oder?"
    Nein. Ist er denn wieder okay, wenn er geschlafen hat?"
    „Das ist schwer zu sagen. Ich denke mal nicht. Ihr Freund hat wahrscheinlich eine Art Depression. Eine Mischung aus Depression und Nervenzusammenbruch. Das haben wir hier ofter."
    Aber wo kommt das denn her?"
    „Naja", sagte der Arzt und lehnte sich auf seinem Hocker zuräck, bis er fast das Gleichgewicht verlor. Dann entschied er sich daför, die Hönde um eines seiner Knie zu verschränken. „Die sind unbequem, die Dinger", sagte er. „Aber um auf Ihre Frage zuräckzukommen: Oft höngt das mit dem Zerbrechen des Selbstbildes zusammen. So erklaöre ich mir das. Vielleicht hat Ihr Freund herausgefunden, daß er nicht der ist, der er die ganze Zeit zu sein glaubte."
    Wieso sollte er nicht sein, was er zu sein glaubte?"
    „Gute Frage. Ich wörde mal vermuten, daß er ein depressiver Typ ist. Nehmen Sie mal diese Kunstsache, das mit der Ausstellung. Vielleicht war diese Ausstellung eine Art Stunde der Wahrheit, und da hat er Angst bekommen."
    Das ist alles ein bißchen viel vielleicht, dachte Herr Lehmann. Was denn för Angst?" fragte er.
    „Daß er versagt. Daß för ihn dabei herauskommt, daß er vielleicht gar kein richtiger Kunstler ist. Dann bricht vielleicht alles andere auch zusammen. Das Leben hier in der Gegend ist leicht, wenn man jung ist: ein bißchen arbeiten, billige Wohnungen, viel Spaß. Aber die meisten brauchen auf Dauer irgend etwas, wodurch das legitimiert wird. Wenn das wegbricht ... buff!" Der Arzt loöste die Höande vom Knie und warf sie zu seinem letzten Wort in die Luft, wie um eine Explosion darzustellen. Dadurch fiel er fast hintenuöber, er konnte sich gerade noch seitlich am Schreibtisch festhalten.
    „Hoppla! Aber wie gesagt: Kann sein, muß aber nicht. Das muß man erst sehen. Aber wir haben das hier öfter. Und bei ihm paßt alles ganz gut zusammen. Auch das mit dem Durchmachen, so was wird oft angeschoben durch Mangel an Schlaf, die Leute drehen immer weiter auf, Party ohne Ende, dann machen sie zwei, drei Nachte am Stuck durch, ein paar Drogen dazu,
    dann sind sie labil und: buff!" Er warf wieder die Hände in die Luft, war diesmal
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