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Herr Lehmann: Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regner
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Lehmann, als er sich der anderen Seite des Lausitzer Platzes naäherte, jeder muß selber wissen, was er tut und was nicht, und nur weil Erwin ein Depp ist und einen zum Schnapstrinken äberredet, heißt das noch lange nicht, daß Erwin schuld ist, dachte er, aber er dachte auch mit Genugtuung an die Flasche Whisky, die er heimlich hatte mitgehen lassen und die in der großen Innentasche seines langen, Air einen Septembertag im Grunde viel zu warmen Mantels steckte. Er selbst hatte zwar keine Verwendung fiir Whisky, denn er trank ja im Prinzip schon lange keinen Schnaps mehr, aber Erwin mußte immer mal wieder bestraft werden, und Herr Lehmann konnte die Flasche zur Not seinem besten Freund Karl schenken.
    Dann sah er den Hund. Herr Lehmann, wie sie ihn neuerdings nannten, obwohl die, die das taten, auch nicht viel junger waren, obwohl tatsachlich einige von ihnen, sein bester Freund Karl und auch Erwin zum Beispiel, sogar älter waren als er, kannte sich mit Hunderassen nicht aus, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß man so ein Tier mit Absicht züchtete. Der Hund hatte einen großen Kopf mit einer mächtigen, sabbernden Schnauze und zwei großen, lappigen Ohren, die links und rechts davon herunterhingen wie zwei welke Salatblätter. Sein Rumpf war fett, und sein Räcken so breit, daß man darauf eine Flasche Whisky hatte abstellen kännen, seine Beine waren dagegen unverhaltnismaßig dunn, sie ragten aus dem Kärper heraus wie abgebrochene Bleistifte. Herr Lehmann, der es nicht äbermaßig witzig fand, daß man ihn jetzt so nannte, hatte noch nie ein so häßliches Tier gesehen. Er erschrak und blieb stehen. Er traute Hunden nicht. Ünd der Hund knurrte ihn an.
    Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte Herr Lehmann, der andererseits aber auch keinen Sinn darin sah, sich wegen einer albernen Anrede groß aufzuregen, immer fest in die Augen schauen, das schuchtert sie ein, dachte er und konzentrierte seinen Blick auf die beiden schwarzen, blanken Läocher im Schädel seines Gegenäbers. Der Hund zog im Rhythmus seines Knurrens die Lefzen hoch und runter und starrte zuruäck. Sie hatten etwa drei Schritte Abstand voneinander, der Hund bewegte sich nicht, und Herr Lehmann bewegte sich auch nicht. Nicht wegsehen, dachte Herr Lehmann, nichts anmerken lassen, einfach vorbeigehen, dachte er und machte einen Schritt zur Seite. Der Hund knurrte noch lauter, es war ein bäsartiges, nervtötendes Geräusch. Bloß nichts anmerken lassen, das Tier spuärt die Angst und nutzt sie aus, dachte Herr Lehmann, noch ein kleiner Schritt zur Seite, dachte er, nicht aus den Augen lassen, noch ein kleiner Schritt, und dann noch einer, so, und dann gleich geradeaus, dachte Herr Lehmann. Aber dann ging der Hund einfach auch ein Stuck zur Seite, und sie standen sich wieder gegenäber.
    Er will mich nicht vorbeilassen, dachte Herr Lehmann, der seinen bald stattfindenden dreißigsten Geburtstag nicht gerade als rauschendes Fest zu feiern gedachte, gerade weil er davon uäberzeugt war, daß das bloß ein Geburtstag war wie jeder andere auch, und er hatte seine Geburtstage noch nie gerne gefeiert. Das ist doch lächerlich, so etwas darf es gar nicht geben, dachte er, ich habe ihm doch gar nichts getan. Er sah die großen, gelben Zähne, und es schauderte ihn bei der Vorstellung, wie sie von den riesigen Kiefern des Hundes in eines seiner Beine, in einen Arm, in seinen Hals geschlagen wurden, ja sogar um seine Hoden wurde ihm angst und bange. Wer weiß, was das fuär einer ist, dachte er, vielleicht ist der auf irgendwas abgerichtet, ein Killerhund, ein Hodenbeißer, einer, dachte er, der die Schlagader im Arm trifft, und dann verblutet man hier mitten auf dem Lausitzer Platz, es ist ja niemand da, der Platz ist menschenleer, dachte er, wer soll sich so fruh am Sonntagmorgen schon hier herumtreiben, die Kneipen sind ja alle schon geschlossen, es ist ja immer das Einfall, das am allerspaätesten zumacht, vom Abfall einmal abgesehen, aber das zäahlt nicht, dachte er, um diese Zeit treiben sich ja bloß noch Verräckte herum, geisteskranke Berliner mit abgerichteten Killerhunden, Perverse, die sich im Gebusch einen runterholen, waährend sie sich ansehen, dachte Herr Lehmann, wie ihre beißwuätigen Hunde ihr täodliches Spiel mit mir treiben.
    „Wem gehört dieser Hund hier?" rief er uber den leeren Platz, „WEM GEHÖRT DIESER VERDAMMTE SCHEISSHUND?" aber niemand meldete sich. Nur der Hund knurrte noch lauter und
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