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Herr Lehmann: Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann: Herr Lehmann
Autoren: Sven Regner
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den letzten Jahren selbst zu einer Lieblingsbeschäaftigung geworden war, und bewegte sich, waährend er pausenlos weiterredete, mit ganz kleinen
    Fußbewegungen wieder zur Seite. „Da bin ich doch der letzte, der schlafende Hunde weckt", kalauerte er drauflos, „schlafe, mein Hundchen, schlaf ein und so, ich weiß, wie es ist, wenn man mude ist, ich kenne das, ich hab's nämlich auch nicht leichtr ich bin auch mäde, aber du, du armer kleiner Scheißer, bist noch viel mäder ..." - Stuck fär Stäck bewegte er sich zur Seite, „... das macht einen Hund muäde, wenn er herumlaäuft und die Leute bedroht, weiß der Himmel, wie man als Hund auf so einen Scheiß kommt, so, jetzt bin ich schon fast einen ganzen Meter weiter links als du, und jetzt mach ich mal einen ganz klitzekleinen Schritt nach vorne, und du schläfst jetzt mal schän, nur ein ganz kleiner Schritt nach vorne, und dann noch einer . . . " Der Hund schaute sich das eine Zeitlang an, dann sprang er mit einer Kraft und einer Geschwindigkeit auf, die Herr Lehmann bei diesen mageren, ganz kraftlos wirkenden Beinen nicht fur moglich gehalten hatte, und knurrte und bellte so aggressiv auf Herrn Lehmann ein, daß dieser vor Schreck richtig wuätend wurde.
    „SCHEISSE!" schrie er aus vollem Halse äber den leeren Platz. „NIMM DOCH EINER DEN SCHEISSHÜND HIER WEG! NIMM DOCH EINER DEN VERDAMMTEN SCHEISSHÜND HIER WEG, HIMMEL, ARSCH ÜND ZWIRN NOCH MAL! ÜND HALT'S MAüL!" brällte er den Hund an, der daraufhin tatsaächlich verstummte.
    Herr Lehmann beruhigte sich wieder. Ich muß mich zusammenreißen, dachte er, ich darf jetzt nicht die Nerven verlieren. Da wird man ja aggressiv" , sagte er entschuldigend.
    Der Hund setzte sich wieder. Herr Lehmann, dessen Fäße von der Arbeit schmerzten, dem die Beine wie Blei und die Knochen am ganzen Korper wie zerschlagen waren, ging selbst kurz in die Hocke, um wenigstens die Beine zu entlasten. Das brachte aber nicht viel, es war auf Dauer eher noch unbequemer. Jetzt ist es auch egal, dachte er, jetzt kann ich mich auch gleich ganz hinsetzen. Er ließ sich nach hinten fallen und kam in einer Art Schneidersitz zur Ruhe. Wenn mich einer sieht, ging es ihm kurz durch den Kopf, dann muß der mich ja fuär den letzten Penner halten. Der Asphalt unter seinem Hintern war kalt, und er fror. Es ist die käalteste Zeit des Tages, dachte er und richtete es so ein, daß er auf dem unteren Ende seines Mantels saß. Üm diese Zeit ist es arschkalt, obwohl es tagsuber noch so heiß wird, dachte er, und wie hell es schon geworden ist, das muß ja schon verdammt spat sein, dachte Herr Lehmann. Ünd ihm fiel auch jetzt erst auf, wie viele Väogel uäberall waren, sie hockten auf den Baumen, in den Buschen, auf der hohen Ümzaunung des Bolzplatzes, auf den Sitzbänken, die nicht weit von ihm zu einem Halbkreis gruppiert herumstanden und auf denen tagsuäber immer einige Penner oder alte Leute oder beides saßen, sie fliegen ja gar nicht herum, wunderte sich Herr Lehmann, sie sitzen bloß da und machen Laärm, und wie sie Laärm machen, dachte er. Es gibt doch eine Menge Tiere in der Stadt, dachte Herr Lehmann, als er auch noch zwei dunkle Schatten, Kaninchen wahrscheinlich, äber die Wiese bei der Kirche huschen sah.
    Warum jagst du eigentlich keine Kaninchen?" fragte er den Hund, der sich ganz auf dem Asphalt ausgestreckt und den Kopf zwischen die Vorderpfoten gelegt hatte. Herr Lehmann entsann sich der auf nicht ganz astreine Art erworbenen Flasche Whisky, zog sie aus dem Mantel, schraubte sie auf und nahm einen kraftigen Schluck gegen die Kälte.
    Jetzt ist das auch egal" , erklaärte er dem Hund. Du bist wahrscheinlich zu bläd oder zu langsam fär Kaninchen, mit deinen komischen Beinen."
    Der Whisky schmeckte furchtbar, wie Schnaps uberhaupt, fur Herrn Lehmann machten da die Feinheiten keine Unterschiede, aber er brachte etwas innere Waärme und verscheuchte noch einmal die Kopfschmerzen, die bei ihm, als Vorgeschmack auf den Kater des naächsten Tages, bereits eingesetzt hatten.
    Du siehst ja vielleicht aus", sagte Herr Lehmann, der sich in letzter Zeit immer äfter dabei ertappte, daß er mit einer gewissen Wehmut und ohne die fruher äbliche innere Abwehr an seine Kindheit zuriickdachte, zum Hund, wie diese Tiere, die man als Kind aus Kastanien gemacht hat, wo man so Streichhäolzer in die Kastanien steckt, als Beine und so. Wenn ich einfach weglaufen wurde, wer weiß, ob du mich äberhaupt kriegen wurdest, mit den
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