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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld
Autoren: David Ignatius
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Prolog
    Das Gebäude von Coyote Investment war ein grauer Betonklotz am westlichen Ende von Knightsbridge, mit kleinen glupschäugigen Fenstern, die das Innere vor neugierigen Blicken schützten. An der Vorderfront gab es eine Drehtür, die immer abgeschlossen war, sodass alle Besucher einen schmalen Seiteneingang benutzen mussten, hinter dem ein Sicherheitsbeamter an einem Tisch saß. Der einzige Farbtupfer an der Fassade war ein rostroter Fleck, der durch die Tropfen von den Simsen und Fallrohren entstanden war. Bei einem flüchtigen Blick auf das Gebäude hatte man den Eindruck, es würde Blut aus den Mauern heraussickern. Es war ein Ort, den die meisten Londoner nicht freiwillig betreten würden, es sei denn, sie hätten dort geschäftlich zu tun.
    An einem Samstagabend fuhr hier zu später Stunde eine schwarze Daimler-Limousine vor. Ein grauhaariger arabischer Herr im Smoking entstieg dem Fond des Wagens und nahm den Aufzug zu seinem Büro im fünften Stock. Er setzte sich sofort ans Telefon und führte eine Reihe von Gesprächen. Er hieß Nassir Hammud. Ihm gehörte das Gebäude und noch einiges mehr. Aber an jenem Abend im März hatte er Schwierigkeiten: Der erste Anruf galt seinem Sicherheitschef.
    «Es hat einen Unfall gegeben», informierte Mr. Hammud den Mann, als dieser zwanzig Minuten später eintraf. «In meinem Landhaus. Eine Frau ist zu Schaden gekommen.» Er sprach langsam, hielt an jedem Wort fest, als könnte er dessen Wirkung auf den Zuhörer kontrollieren. Er war Unfälle nicht gewohnt. Beim Reden wischte er ein unsichtbares Fädchen vom Seidenaufschlag seiner Jacke.
    Das Gesicht des arabischen Herrn war ebenso gepflegt wie seine Abendgarderobe. Die Züge waren für sich genommen nicht bemerkenswert: eckige Wangenknochen, eine breite Nase mit einem leichten Haken zur Spitze hin, ein fliehendes Kinn. Aber sein Gesicht hatte einen unnatürlichen Glanz, gleichzeitig rosa und blass, als wäre er geradewegs von einem Einbalsamiertisch heruntergestiegen. Die Haut war zu glatt; sie sah aus wie auf einem retuschierten Foto. Die Zähne hatten etwas Leuchtendes und Scharfes, die Fingernägel waren frisch manikürt. Auf einer Wange waren Spuren einer frischen Narbe, aber sie war so gut genäht worden, dass sie im Abendlicht fast unsichtbar war. Das Einzige, was in diesem Gesicht von den kosmetischen Künsten scheinbar unberührt geblieben war, waren die Augen, die sich zu scharfen schwarzen Schlitzen verengten. Und es war genau diese Kombination von kraftloser, fast femininer Geschmeidigkeit und der rohen Brutalität, die aus seinen Augen leuchtete, die Nassir Hammud eine Ausstrahlung berechnender Grausamkeit verlieh.
    «Ya sidi!»
, sagte der Sicherheitschef.
O Herr.
    «Ich war den ganzen Tag hier in London», fuhr Hammud fort. «Der Chauffeur hat mich ins Büro gebracht. Ich habe von diesem … Unfall am Telefon erfahren.»
    «Ya rayess!»
, rief der Sicherheitschef.
O mein Präsident!
Er war ein irakischer Armenier namens Sarkis, jedem außer Mr. Hammud als Professor Sarkis bekannt.
    «Ich möchte, dass Sie etwas für mich erledigen», sagte Hammud.
    «Ya amir!»
, antwortete Sarkis und näherte sich dem Schreibtisch.
O mein Prinz!
Er war ein kräftiger Mann, mit teigigen Wangen und einer riesigen Nase, die ihn wie die levantinische Version eines tropischen Vogels aussehen ließ. Er beugte sich zu Mr. Hammud vor. «Soll ich einen Arzt rufen?», fragte er.
    «Nein!», sagte Hammud. «Keinen Arzt.»
    «Soll ich einen Krankenwagen rufen?»
    Hammud machte eine wegwerfende Handbewegung, als würde er ein weiteres Fädchen von seinem Jackett wegwischen.
    «Was soll ich dann tun,
sidi

    Hammud ging zu dem Tresor hinter ihm. Er öffnete ihn und zählte sorgfältig fünfzigtausend Pfund aus der Bargeldschublade ab. Als er damit fertig war, steckte er das Geld in einen braunen Umschlag, kritzelte eine Adresse drauf und übergab ihn Sarkis.
    «Ich möchte», sagte er, «dass Sie morgen früh zu diesem Mann hier gehen und ihm den Umschlag geben. Nur ihm. Er ist Polizeichef. Sagen Sie ihm, das Geld ist als Belohnung gedacht. Für Hinweise darauf, wer die Frau getötet hat. Sagen Sie ihm, ich bedaure den Vorfall sehr. Sagen Sie ihm, dass ich das ganze Wochenende über in London war.»
    Sarkis verneigte sich und nahm den Briefumschlag an sich. «Sie ist tot,
sidi

    Hammud antwortete nicht. Er hatte bereits den Hörer in der Hand, um einen weiteren Anruf zu erledigen. Er war ein überaus kontrollierter Mensch,
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