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Herr der Träume

Herr der Träume

Titel: Herr der Träume
Autoren: Roger Zelazny
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absorbieren und in Wärme umzuwandeln, die Nase mit Düften zu umschmeicheln und das Ohr mit dem Prasseln der drei Feuer zu hypnotisieren.
    Render war erfreut zu sehen, daß man ihm seinen Lieblingstisch in der Ecke rechts neben der einen Feuerstelle reserviert hatte. Er kannte die Speisekarte auswendig, studierte sie jedoch trotzdem mit Eifer, als er an seinem Manhattan nippte und eine Mahlzeit komponierte, die seinem Appetit entsprach. Traumbehandlungen machten ihn stets wahnsinnig hungrig.
    »Doktor Render?«
    »Ja?« Er sah auf.
    »Doktor Shallot hätte gern mit Ihnen gesprochen«, sagte der Kellner.
    »Ich kenne keinen Shallot. Sind Sie sicher, daß es sich nicht um Bender handelt, mit dem Shallot sprechen will? Er ist Chirurg, der manchmal hierher essen kommt ...«
    Der Kellner schüttelte den Kopf. »Nein, Sir – ›Render‹. Sehen Sie!« Er hielt ihm ein Kärtchen hin, auf dem Renders vollständiger Name mit Großbuchstaben geschrieben war. »Dr. Shallot hat während der letzten beiden Wochen fast jeden Abend hier gegessen und jedesmal gebeten, davon unterrichtet zu werden, falls Sie kommen sollten.«
    »So? Das ist eigenartig. Warum hat er mich nicht einfach in der Praxis angerufen?«
    Der Kellner lächelte und machte eine vage Handbewegung.
    »Na schön. Sagen Sie ihm, er soll herüberkommen«, sagte er und trank seinen Manhattan aus. »Und bringen Sie mir noch einen.«
    »Leider ist Dr. Shallot blind«, erklärte der Kellner. »Es wäre leichter, wenn Sie ...«
    »Schon gut. Klar.« Render erhob sich und verließ seinen Lieblingstisch.
    »Gehen Sie vor.«
    Ihr Weg führte sie zwischen Tischen mit Speisenden und in den nächsten Stock hinauf. Sie gelangten in ein kleines Extrazimmer, in dem nur zwei Tische besetzt waren – nein drei. Einer der Tische befand sich in der Ecke am anderen Ende der Bar, teilweise hinter einer alten Ritterrüstung verborgen. Der Kellner strebte darauf zu.
    An dem Tisch blieben sie stehen, und Render blickte auf dunkle Augengläser hinab, die sich ihnen bei ihrer Ankunft zugewendet hatten. Dr. Shallot war eine Frau Anfang Dreißig. Ihre bronzefarbenen Locken verbargen nicht ganz den silbernen Fleck, den sie wie ein Kastenzeichen auf ihrer Stirn hatte. Render machte einen Zug an seiner Zigarette, und ihr Kopf ruckte ein wenig, als die Zigarette aufglühte. Sie schien ihm geradewegs in die Augen zu sehen. Es war ein unangenehmes Gefühl, selbst wenn man wußte, daß sie von ihm nicht mehr erkennen konnte als das, was die winzige fotoelektrische Zelle über einen haarfeinen Draht ihrem Sehzentrum vermittelte: also die Glut seiner Zigarette.
    »Dr. Shallot, dies ist Dr. Render«, stellte der Kellner vor. »Guten Abend«, sagte Render.
    »Guten Abend«, erwiderte sie. »Ich heiße Eileen und wollte Sie sehr gerne treffen.« Er glaubte in ihrer Stimme ein leichtes Beben wahrzunehmen. »Wollen Sie mit mir essen?«
    »Es ist mir ein Vergnügen«, stimmte er zu, und der Kellner schob ihm einen Stuhl zurecht.
    Render nahm Platz und bemerkte, daß sein Gegenüber bereits einen Drink hatte. Er erinnerte den Kellner an seinen zweiten Manhattan.
    »Haben Sie bereits bestellt?« fragte er.
    »Nein.«
    »Und zwei Speisekarten ...«, fügte er hinzu und biß sich sogleich in die Lippen.
    »Nur eine.« Sie lächelte.
    »Wir brauchen gar keine«, verbesserte er und begann, die Gerichte aufzuzählen, wonach sie die Bestellung aufgaben.
    »Tun Sie das immer?« fragte sie dann.
    »Was?«
    »Speisekarten auswendig lernen.«
    »Nur ein paar und für besondere Anlässe. Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
    »Sie sind ein Neuro-Partizipationstherapeut, ein Schöpfer .«
    »Und Sie sind ...?«
    »Assistent der Psychiatrie am State-Psych. Ich habe noch ein Praxis-Jahr vor mir.«
    »Da kennen Sie Sam Riscomb.«
    »Ja, er half mir, den Platz zu bekommen, und war mir beim Studium behilflich.«
    »Er war ein guter Freund von mir. Wir studierten zusammen.«
    Sie nickte. »Er sprach oft von Ihnen. Das ist auch einer der Gründe, weswegen ich Ihre Bekanntschaft machen wollte. Er ist dafür verantwortlich, daß ich trotz meines Gebrechens meine Pläne verfolgen konnte.«
    Render betrachtete sie. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid, das aus Samt zu bestehen schien. Darin stak eine Nadel – wahrscheinlich aus Gold – mit einem roten Stein, der ein Rubin sein mochte. Die Fassung sah aus wie ein Kelch. Oder waren es zwei Gesichter in Profil, die einander durch den Stein hindurch ansahen? Die Anordnung wirkte
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