Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
Vom Netzwerk:
nicht.«
    Sie bewegte sich weiter. »Welcher Mensch besitzt die Macht, dem Tod zu trotzen … jemandem so etwas wie das alles anzutun?«
    »Es hängt mit einer Frau zusammen«, erklärte Mansfield. »Edgars Frau. Er brachte sie aus dem Ausland her, und sie war krank, Florence. Dennoch liebte … liebten wir beide sie, genauso wie wohl jeder andere Narr, der je nahe genug an sie herantrat, um in ihre Augen zu schauen. Sie war eine Hexe und brandgefährlich, weil sie allein mit Blicken, Lippenbekenntnissen und Nachtgeflüster Böses in die Herzen der Männer pflanzte. Dazu brauchte sie keine Tränke und Tinkturen. Sie war die Mutter dessen, was aus mir geworden ist, die Wirtin der schrecklichen Krankheit, die in mir wütet.« Er stöhnte und fasste sich an die Brust, und als er sich vornüberbeugte, quoll noch mehr Blut aus der Rückenwunde unter einem Schulterblatt.
    Mrs. Fletcher fühlte sich instinktiv zu ihm hingezogen, doch sie widerstand der Versuchung, indem sie das Bild des Monsters heraufbeschwor, das er just noch gewesen war. So nutzte sie seine Schwäche aus und ging weiter, bis sie mit dem Rücken zur Tür vor ihm stand, wie sie es geplant hatte. Drei Schritte noch, und sie war vor dem Treppenabsatz.
    »Meine gute Florence …«
    Sie konnte bloß hoffen, die Pein habe ihn derart ermattet und genötigt, sich mit seiner Menschengestalt zu begnügen.
    Und dass sie schnell genug sein würde, falls dem nicht so war.
    Risiken wollte sie indes nicht eingehen. Jahrzehntelang hatte sie dem Master gut gedient und seine Kinder gehortet, wenn die Geschäfte oder zuletzt das Leiden ihn davon abhielten. Treu war sie ihm gewesen, und ja: Ihr Leben hätte sie für ihn geopfert.
    Dieser Mann hingegen war nicht er, und falls es darauf ankommen sollte, hatten die Kinder sowieso Vorrang. Unschuldig waren sie, und doch mochten sie gerade jetzt durchs finstere Moor irren, geleitet allein vom Licht des Hauses und dem Wissen um dessen Annehmlichkeiten – die Sicherheit, die sie seit jeher für gegeben hielten. Aller Unbill zum Trotz hatten sie und Mr. Grady das Mansfield-Anwesen zu einer Oase gemacht, die Kleinen vom Übel der Außenwelt abgeschottet und ferngehalten, wovon sie nichts zu wissen brauchten. Dies betraf die Schande, die ihr Vater über sie gebracht hatte. In seiner Torheit war er zum Inbegriff der Grausamkeit geworden und sollte einen Schatten auf die Kinder werfen, sobald sie sich selbständig machten und das Haus dem Verfall überließen. Alle Zwistigkeiten und Hürden, die ihr Glück in den kommenden Jahren in Zweifel ziehen würden, taten sich vor Mrs. Fletcher auf. Auch ihr eigenes Verzagen, ihre persönlichen Verluste manifestierten sich in diesem Mann, und zwar in geballter Form mit der Befürchtung obendrein, sie habe die Kinder im Stich gelassen, auf dass sie in der Finsternis von ungeahnten Gefahren verschlungen und als traurige Gestalten ausgespuckt wurden, wie sie selbst eine geworden war.
    Neil und Kate durften nicht nach Hause kommen und auf so jemanden stoßen.
    Einen Vater, den sie ehrten und für den zu beten sie jeden Atemzug aufwendeten.
    Einen Vater, der zur gefräßigen Bestie geworden war und seine Zähne in ihnen vergraben wollte, nur weil er sich veruntreut und damit selbst verflucht hatte.
    »Florence«, wiederholte er und drehte sich langsam um. Licht fiel auf seine Augen, die wie die eines überfahrenen Karnickels dunkelrot angeschwollen waren.
    »Florence …« Ein kritischer Unterton schwang nun mit. »Hören Sie mich an. Ich sterbe. Sie müssen mir helfen. Sie kennen mich. Ich …«
    »Sie sind zu einem Monster geworden«, unterbrach sie ihn harsch, während sie immer noch geneigt war, darüber hinwegzusehen und ihm zu helfen. Da stellte sie fest, dass ihre Liebe zu ihm während seines jahrelangen Komas schal geworden war. Er kam ihr wie ein Fremder vor, was es erleichterte, das Notwendige zu tun. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen traue; Sie könnten Ihre eigenen Kinder …«
    »Aber Florence«, mahnte er und streckte zitternd die Hände nach ihr aus. So berührten seine Finger den Gewehrlauf, weshalb sie einen Schritt zurücktrat, falls er versuchen wollte, ihr die Waffe zu entreißen. »Sie verstehen doch bestimmt, dass dies nicht mein wahres Ich gewesen ist. Es liegt an dieser verdammten Krankheit, und wenn ich deswegen sterben muss, soll es so sein. Allerdings ist es von äußerster Wichtigkeit, dass Sie die Wahrheit akzeptieren. Trauen Sie dem, was Sie mit eigenen Augen gesehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher