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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore
Autoren: Kealan Patrick Burke
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nicht gewogener als dem Mädchen.
    »Stephen schenkte mir das Augenlicht … mein Leben … und damit auch Macht. Sie hörten, was er sagte, ich führe nun und folge nicht mehr, wie ich es in der Vergangenheit immerzu tat. Den mitleidigen Ton der Leute, die mich ansprechen, muss ich nicht mehr ertragen und werde von nun an allein für mich sorgen. Am wichtigsten aber ist, ich brauche nicht mehr zu heucheln, Menschen gewogen zu sein, die ich verachte .«
    »Weshalb verachten Sie mich?«, fragte Grady. »Ich war stets gut zu Ihnen.«
    »Gut zu mir?« Neil kam mit geballten Fäusten näher und zeigte die Zähne. Grady kam immer noch nicht darüber hinweg, dass der Junge ihn anschaute . Der dämmerige Glast hatte sich verflüchtigt, und zurück blieben scharf sehende Augen. Das Böse stand ihm damit ins Gesicht geschrieben. »Du hast mir die Wahrheit vorenthalten und mich unter Leuten aufwachsen lassen, die nicht mein eigen Blut waren. Ein fadenscheiniges Dasein hast du für mich in die Wege geleitet, alter Mann. Ein Dasein voller Lügen. Darben musste ich jahrelang in diesem elenden Haus, wo du mit mir umgesprungen bist, als sei ich ein getretener Köter, um mich davon zu überzeugen, ich sei wirklich ein bedauernswerter Blindgänger. Nun schau mich an, Grady; das bin ich nicht. Mein echter Vater hat mir alles gegeben, was ich mir je wünschen kann, Sehkraft und Freiheit. Ich mache mir beides zunutze, um dich zu vernichten für das, was du mir angetan hast.«
    Grady war sprachlos. Dass der Junge sehen konnte, war ein Wunder, doch der Inhalt seiner Worte zeugte von Besessenheit und geistigem Verfall. Er weigerte sich, sie als aufrichtig anzuerkennen.
    Es durfte nicht erneut geschehen.
    Nicht schon wieder sollte sich ein junger Mann, der ihn eigentlich lieben musste, gegen ihn stellen.
    Er warf Stephen einen finsteren Blick zu. »Was haben Sie mit ihm getan?«
    »Mein dummdreister Freund«, erwiderte Stephen heiter. »Lassen Sie mich aus dem Spiel, denn es liegt allein an ihm. Es steckt in seinen Genen, begreifen Sie das nicht? Seine Mutter und ich haben ihm diese Kleinigkeit vererbt, und es bedurfte nur eines Kratzers meinerseits an seinen Augen sowie seiner Entscheidung. Er konnte annehmen oder widerstehen, und wie Sie unschwer erkennen, wählte er Ersteres. Hätten Sie miterlebt, wie schnell er sich anpasste, wäre Ihnen die Luft weggeblieben. Er ist wahrlich von unserem Geblüt und wird unsere Armee von nun an in die Welt aussenden, bis der Mensch Geschichte ist, wie Ihresgleichen sie an Lagerfeuern erzählt.«
    Grady tippte an Kates Schulter, woraufhin sie hochschaute. Er flüsterte: »Sobald ich schieße, laufen Sie so schnell Sie können Richtung Dorf. Halten Sie die Pistole fest.«
    Sie schien nicht zu wollen und zum Widerspruch anzusetzen, doch zu seiner Überraschung nickte sie schließlich. Eigentlich hätte er es trotz ihrer üblichen Störrischkeit ahnen können, denn das, wofür sie mitgekommen war, existierte nicht mehr. Der Knabe vor ihr mit den hungrigen, hasserfüllten Augen war nicht derjenige, den sie kannte. Hoffentlich verletzte sie sein Verrat nicht zu tief, denn immerhin hatte sich Neil ihr gegenüber schon immer distanziert verhalten. Grady glaubte nicht wirklich daran, weil Kate kein Mensch war, der nur in dem Maße liebte, wie er selbst Liebe erwarten durfte. Falls sie diese Nacht überlebte, lag es nahe, dass sie dieser Eigenschaft wegen in Zukunft noch viel leiden musste.
    Er schaute auf und richtete sich an den Jungen. »Kate trägt an alledem keine Schuld. Bitte verschonen Sie sie.«
    »Niemand ist unschuldig«, antwortete Neil lapidar.
    »Sie brachte Ihnen nie etwas anderes außer Zuwendung und Hilfsbereitschaft entgegen. Um Gottes willen, egal wie dieser Mann Ihren Kopf verdreht hat, erkennen Sie es denn nicht?«
    Neil schwieg eine Weile, indem er Grady anstarrte, wobei der alte Mann meinte, unsichtbare Finger bohrten sich in seinen Schädel. Die Versammelten schienen vor Ungeduld kaum mehr an sich halten zu können. Dann aber lächelte Neil süffisant und gab kund: »Ich werde sie nicht umbringen … vorerst. Stattdessen nehme ich dich, und während wir dich verzehren, soll sie fliehen. Nenne es einen Vorsprung. Sie wird nicht weit kommen, mag aber während dieser wenigen, kostbaren Momente des Freiseins darüber sinnen, wie oft sie mich im Laufe der Jahre gemein behandelte.«
    Als Kate das Wort erhob, überschlug sich ihre aufgekratzte Stimme beinahe vor Kummer. »Niemals habe ich dich
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