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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene
Autoren: dtv
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Knochen doch irgendwie einen Seitenwechsel zukommen zu lassen, hörte dabei jedoch nicht auf mit meiner Wörtersuche, und bei
strategia
gelang es mir endlich, nach unzähligen kleinen und ruckartigen Bewegungen, mich auf die andere Seite zu drehen. Erschöpft sackte ich zusammen und spürte eine gewisse Entspannung meiner Muskeln. Und als mich kurz darauf der Gedanke übermannte, dass es ganz egal war, auf welcher Seite ich hier verreckte, stopfte ich die Angst tiefer hinunter, wandte mich rasch dem »t« zu und murmelte
tariffa, tradizione
und machte so in einem fort, nur um keinen anderen Gedanken zuzulassen.
    Irgendwann begann ich zu frieren. Die Sonne musste untergegangen sein, der Tag war vorüber.
     
    Wie lange dauerte es, bis man in einem Kofferraum starb? Würde mein Peiniger mich hier einfach verrotten lassen, den Wagen an einem ruhigen Ort parken und so lange warten, bis ich tot war? Meine linke Seite, die Seite, auf der ich lag, war inzwischen fast ganz taub und auch unter Aufbietung all meiner Kräfte gelang es mir nicht, mich erneut auf die andere Seite zu hieven. Wie lange dauert es, bis einem ein Arm oder ein Bein abstirbt, fragte ich mich plötzlich. Erneut fühlte ich Panik in mir aufsteigen, so wollte ich nicht sterben, ich wollte überhaupt nicht sterben, noch nicht.
    Und dann waren da die Schritte, eine Autotür wurde geöffnet, der Motor angelassen. Der Wagen setzte sich in Bewegung und schwankte die Schotterstraße entlang, rumpelte durch Schlaglöcher. Nach einer Weile wurde das Rumpeln schwächer, bis es mit einem Mal ganz verschwand und ich fühlte, wie der Wagen nach rechts abbog. Wir hatten die Asphaltstraße erreicht und die Fahrt ging auf und ab, kurvte hin und her. Nach einer Weile war mir so übel, dass ich würgte. Aber mein Magen war leer und es war nur Galle, die mir die Speiseröhre hochstieg und einen bitteren, scharfen Geschmack in meinem Mund hinterließ.
    Ich dachte darüber nach, wie spät es sein mochte, versuchte, darauf zu kommen, wohin er mit mir fuhr, doch irgendwann gab ich auf, sackte mit dem Gesicht auf den kratzigen Kofferraumboden und schlief ein.
     
    Ich erwachte von der unnatürlichen Stille um mich herum. Kein Laut, keine Regung, nichts war zu hören, und ich fragte mich gerade, was als Nächstes käme, ob überhaupt etwas käme, als der Kofferraumdeckel über mir aufschwang undmich jemand mit einer Taschenlampe von der Seite anleuchtete und sich an meinen Fesseln zu schaffen machte. Mit einem kurzen Ratsch war die Schnur, die meine Hände an die Füße gebunden hatte, durchgeschnitten, dann wurden die Fußfesseln durchtrennt. Die Taschenlampe erlosch wieder. Wie ein Reptil, das langsam aus der Erstarrung erwacht, versuchte ich meine Beine zu bewegen. Da packte mich jemand am Arm, unsanft, und zerrte mich hoch, aus dem Wagen heraus. Doch meine Füße trugen mich nicht, ich hatte kein Gefühl mehr, und so fiel ich der Länge nach hin und schlug mit dem Gesicht hart auf den Boden, auf dem Schotter lag. Erneut zerrte jemand an mir, versuchte mich hochzuziehen, auf die Beine zu stellen. Und irgendwann stand ich, schwankend und unsicher, und langsam kehrte das Gefühl in meine Beine zurück, es kribbelte und stach wie von tausend Ameisen. Um mich war völlige Dunkelheit, tintenschwarze Nacht, ein leiser Wind strich mir übers Gesicht. Und dann hörte ich, ganz leise, aber doch unverkennbar, das Meer rauschen. Und auf einmal wusste ich, wo ich war und was nun folgen würde.
     
    Wieder blitzte das Licht der Taschenlampe auf und ich war einen Moment lang völlig geblendet. Dann forderte eine barsche Stimme mich auf: »Los, komm schon, da geht’s lang!«, und drückte mir etwas Spitzes in den Rücken.
    »Sie?«, fragte ich.
    Aber Prohacek antwortete nicht und schubste mich vor sich her, den schmalen, mit Ginster gesäumten Pfad entlang.
    »Warum tun Sie das?«, fragte ich.
    »Schnauze halten«, fuhr er mich an, doch ich dachte nicht daran, jetzt, wo ich wusste, was er vorhatte, und dass es sowieso bald vorbei wäre, wenn mir nicht noch irgendein genialer Gedanke käme.
    »Sie haben meine Mutter getötet, Sie waren das!«
    »Halt die Goschn«, schrie er jetzt, »sonst stech ich dich ab.«
    Auf einmal fühlte ich eine ungezügelte, heiße Wut in miraufsteigen, einen giftigen Hass auf diesen Mann, der sich hier zum Herrn über Leben und Tod aufschwang. Und es schon einmal getan hatte. Der Mörder meiner Mutter, der nun auch mich gleich töten würde, durch einen Stoß in
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