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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene
Autoren: dtv
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Rede stellen, was er sich dabei gedacht habe, diese Lügen über sie zu verbreiten. Doch in seiner Praxis traf sie nur auf die Sprechstundenhilfe, die mit irgendwelchen Büroarbeiten beschäftigt war und von der sie erfuhr, dass der Herr Doktor ein paar Tage verreist sei. Und da habe sich ein schrecklicher Verdacht in ihr breitgemacht: dass nämlich auch Prohacek auf dem Weg nach Ligurien sein könnte und dass etwas Schlimmes geschehen würde. Als Erna zurück nach Hause kam, hatte dort Wolf vor der Tür gewartet und sich nicht abwimmeln lassen. Und da sich die beiden nach einem kurzen Gespräch einig waren, dass etwas getan werden müsste, waren sie in Wolfs V W-Bus Richtung Ligurien aufgebrochen.Doch kurz hinter Graz hatte der Bus nach einer Toilettenpause keinen Muckser mehr von sich gegeben und musste in die nächste Werkstatt abgeschleppt werden. Als schon keiner der beiden mehr daran glaubte, diesen Ort je wieder verlassen zu können, kam endlich der neue Anlasser und sie gelangten zehn Stunden später zur
Casa dei Glicini
, wo sie auf Roman stießen – auch er war aus Sorge um mich inzwischen nach Italien geflogen – und meinen Wagen fanden. Als nach ein paar Stunden des Wartens klar war, dass ich nicht einfach einen Spaziergang unternommen hatte, suchten sie zunächst die unmittelbare Umgebung ab, fanden aber auch dort keinerlei Spuren. Also machten sie sich auf, um die Polizei zu alarmieren, was sie weitere zwei Stunden kostete und sich in der umständlichen Aufnahme der Personalien aller Beteiligten erschöpfte.
    Da endlich kam Roman, der ja wie ich das Buch meiner Großmutter gelesen hatte, auf den Gedanken, Prohacek könne versuchen, mich die Klippen hinunterzustürzen, um es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Weil sie davon ausgehen konnten, dass Prohacek den Aussichtspunkt kannte oder zumindest durch Lilli von der Stelle wusste, wo Oma Jahre zuvor meinen leiblichen Großvater hinabgeworfen hatte, lag es nahe, dass er genau diesen Ort aufsuchen würde. Da aber keiner der drei die genaue Stelle kannte, hatte es Stunden gedauert, bis sie die infrage kommenden Orte abgeklappert hatten.
    Als dann im Krankenhaus in Imperia meine Schürfwunden behandelt wurden, die mir ein dramatisches Aussehen gaben, erinnerte ich mich an drei Augenpaare über mir und wurde auf meiner Liege plötzlich wieder von diesem irrsinnigen Lachen geschüttelt, das sich diesmal zu einem regelrechten Krampf steigerte, während meine »drei Musketiere« immer noch um mich herumstanden, besorgt um mein Wohl. Ich war gerettet, ich
lebte
, irgendwie hatte ich es geschafft, nicht abzustürzen, irgendjemand von dort oben, ein Engel, hatte seine schützende Hand über mich gehalten. Und ich war schwanger. Und einerder beiden Männer war der Vater. Ich blickte von einem zum anderen, von Romans blauem Blick zu Wolfs braunem, und von dort in Ernas Schwarzkirschenäuglein. Sie lächelte. Und ich sah ein Blitzen in ihrem Blick, einen Schalk, der bestens zur grotesken Komik der Situation passte. Schon wieder stieg dieses glucksende Lachen aus meiner Kehle auf und erneut murmelte Erna ein beruhigendes »Ist ja gut, Kindchen«.

Epilog
    Paulchen. Einmal nur war ich an deinem Grab, mein Jungchen, mein über alles geliebtes Jungchen. Es ist noch gar nicht lange her. Die Natur hat dich ganz in ihren Schoß gebettet und ich habe den Grabstein erst nicht gefunden und befürchtete schon, sie hätten es eingeebnet, nach all den Jahren. So wie längst ein anderer in Hannas Grab liegt. Und dann habe ich es doch noch gesehen, im hintersten Winkel des Löhnhorster Friedhofs, unter einem Dach von überalterten Eiben, von Nadeln bedeckt. Unter all den Flechten war dein Name nicht mehr zu sehen. Als hättest du niemals existiert. Ich habe ihn frei gekratzt, mit meinem Schlüssel, und während ich vor dem Stein kniete und ihn von Moos und Flechten befreite, liefen mir die Tränen übers Gesicht und die Erinnerung an dich, an das, was damals geschehen ist, wurde auf einmal wieder lebendig. Deine rotfleckigen Wangen. Dein fieberglänzendes Gesicht. Und schließlich dein stilles Gesicht, der bläuliche Schimmer deiner Haut. Und dann wollte ich mich erinnern, ich musste mich erinnern daran, wie es war, als du noch lebtest, als du noch lachtest, als dein kleines gurgelndes Babystimmchen noch da war und deine Händchen versuchten, nach meiner Nase zu greifen. Ich wollte mich erinnern, und bald zogen Bilder an mir vorüber und ich sah Hanna und Berta, Oda und Else
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