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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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einzuwenden
haben.
    »Meinetwegen
soll das Zeug hängen bleiben«, gab Margret ungewohnt schnell nach.
    An ihrer
gerunzelten Stirn sah ich, dass ihr ganz ähnliche Gedanken wie mir durch den Kopf
gingen.
    »Dann kann
uns ja nichts mehr passieren«, sagte ich schmunzelnd.
    »Odpukam
trzy razy w niemalowane drewno«, flüsterte Jola und klopfte dreimal auf ihren Nähtisch.
    Eilig folgten
wir ihrem Beispiel. Man konnte ja nie wissen.
     
    Mal gucken, wann sich die ersten
Kunden über den ungewohnten Geruch beschweren. Vielleicht gefällt es ihnen aber
auch. Schließlich sind die Zöpfe wirklich hübsch. Und außerdem sind wir sowieso
keine Schneiderei wie jede andere. Ich freue mich jedenfalls schon darauf, am Montag
wieder in den Wedding zu fahren und an meiner Nähmaschine zu sitzen. Knoblauchduft
hin oder her.
    Zuerst liegt
jedoch ein ruhiges Wochenende vor mir.
    Bald gehe
ich gemütlich ins Bett und schlafe mich richtig aus.
    Am nächsten
Morgen mache ich mir ein leckeres Frühstück, lese dabei die Berliner Morgenpost
und gucke mir drei Folgen ›Vampire Diaries‹ aus Vickis DVD-Sammlung an. Coole Serie.
Die Vampire im 21. Jahrhundert entsprechen längst nicht mehr den alten Klischees.
Sie wohnen weder in Transsilvanien in halb zerfallenen Schlössern, noch gehen sie
nachts auf Menschenjagd. Das ist Schnee von gestern. Der moderne Vampir lebt in
Amerika, ist blutjung, sieht überdurchschnittlich gut aus und geht tagsüber brav
zur Highschool, wo sich reihenweise Teenies in ihn verlieben. Mir gefällt es. Wenn
ich ein Vampir wäre, würde ich das genauso machen.
    Am Nachmittag
hänge ich mich ans Telefon. Ich will mal hören, wer da ist und ob jemand Lust hat,
heute Abend etwas mit mir zu unternehmen. Erwartungsgemäß haben alle schon etwas
vor. Meine Oma will mit Margret in die Urania zu einem China-Vortrag. Meine Schwester
Lila und ihr Freund Rob sind zu einer Party eingeladen. Natürlich sagen sie: »Komm
doch mit, Rosa. Du musst nicht alleine zu Hause bleiben.« Aber ich habe keine Lust,
das fünfte Rad am Wagen zu sein. Außerdem habe ich so Vickis Riesenwohnung mal ganz
für mich. Ich liebe diesen verwunschenen, alten ›Palast‹ und kann mir bildlich vorstellen,
wie die vornehme Familie von Liesen früher gelebt hat. Das muss eine tolle Zeit
gewesen sein – mit Teekränzchen hier und Fahrt auf das Landgut da. Bestimmt hat
keine der Frauen in Vickis Familie jemals arbeiten müssen. Beneidenswert. Oder?
Wo ich mich doch schon nach einem halben Tag ohne meine Nähmaschine zu langweilen
anfange.
    Nach einem
ausgiebigen Schaumbad hülle ich mich in meinen weichen Bademantel, wickle mir ein
Handtuch um den Kopf und setze mich in die Bibliothek. Dieses Zimmer sieht noch
richtig wie früher aus, mit Unmengen uralter Bücher in schweren, dunkelbraunen Regalen
und Vitrinen. Sogar ein alter Schreibtisch mit Tintenfass und Feder steht am Fenster.
    »James,
bringen Sie mir jetzt den Tee«, sage ich geziert und muss gleichzeitig über mich
lachen. Nein, das wäre nichts für mich. Ich koche meinen Tee lieber selbst und seit
ich nicht mehr bei Lila wohne, bringt mir niemand mehr meinen Morgenkaffee ans Bett.
    Draußen braut sich gerade ein Gewitter zusammen. Obwohl es
bereits September ist, sind die letzten Tage ziemlich heiß gewesen. Gut, dass ich
nicht ausgegangen bin. Vor Blitz und Donner fürchte ich mich nämlich. Aber in Vickis
Wohnung kann mir nichts passieren. Ich knipse das Licht an und betrachte die gewaltige
Büchersammlung. Vicki und ich stapeln unseren Lesestoff in unseren Zimmern. Hier
stehen ausschließlich die alten Bücher. Vorsichtig streiche ich über die gebundenen
Rücken, lese die Aufschriften auf den Einbänden und nehme das eine oder andere Buch
in die Hand. Eine uralte, mehrbändige Ausgabe von Brehms ›Thierleben‹ hat es mir
angetan. Ich wähle einen Band aus, setze mich in einen Sessel und blättere. Während
ich die Zeichnungen betrachte und mit etwas Mühe die alte Druckschrift lese, wird
es immer finsterer draußen. Blitze zucken.
    Als ich
aufstehe, um das Buch zurück ins Regal zu stellen, kracht ein gewaltiger Donnerschlag.
Gleichzeitig klingelt das Telefon. Ich erschrecke so heftig, dass mir das Buch aus
der Hand fällt – genau auf meinen Fuß. Fluchend humpele ich zum Telefon. Als ich
den Hörer abnehme, zittert meine Hand.
    »Ja, hier
ist Rosa«, sage ich mit piepsiger Stimme.
    »Ich bin’s«,
schreit Vicki am anderen Ende. »Ist alles okay bei dir?«
    »Ja, warum
denn nicht?«,
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