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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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frage ich und halte den Hörer ein Stück von meinem Ohr weg.
    »Du hättest
doch mitkommen sollen«, sagt Vicki. »Es ist wirklich schön hier. Was machst du denn
gerade?«
    »Ich gucke
mir Bücher an«, gebe ich zurück.
    »Aha. Wo
ist Basti?«
    »Ich glaube,
dass er Nachtschicht hat. Oder irgend so eine Weiterbildung. Oder? Äh … ich weiß
es ehrlich gesagt nicht. Ich habe irgendwie den Überblick verloren.«
    Mein Freund
Basti ist ein überaus viel beschäftigter Mann.
    Neulich
stand in der Zeitung, dass sich Krankenhausärzte fast täglich todmüde und völlig
überarbeitet zu ihren Patienten schleppen, dann vor Erschöpfung schon mal den Durchblick
verlieren und deshalb ein falsches Bein amputieren oder einen Tupfer im Bauchraum
vergessen. Schlimme Vorstellung – wenn man mal krank sein sollte. Aber Basti scheint
das normale Ärztepensum nicht zu reichen. Er fährt an den Wochenenden noch zu Kongressen,
macht reihenweise Weiterbildungen, hockt in Bibliotheken und jettet zwischendurch
immer mal nach Sardinien, um sich mit seiner berühmten Schauspielermutter für irgendwelche
Klatschmagazine ablichten zu lassen. Er hat oft keine Zeit für mich, und wenn ich
ihn sehen will, ist es wahrscheinlicher, dass ich ein Bild von ihm in der Gala erwische,
als ihn bei mir zu Hause auf der Couch.
    Ich seufze.
    Aber wenn
er da ist, dann ist es wunderschön.
    Ich seufze
erneut.
    »Was ist
los?«, unterbricht Vicki meine Gedanken. »Bist du etwa traurig? … Dani, hör mal,
wir hätten Rosa nicht alleine lassen sollen.«
    Das fehlte
noch, dass ich den beiden ihr ohnehin schon mickriges Flitterwochenende verderbe.
    »Es ist
nichts«, sage ich also heiter und schiebe meine Basti-Sehnsucht beiseite. »Ich mache
mir jetzt Tee, kuschele mich ins Bett und lese.«
    »Sicher?«
    So ganz
kann ich es leider nicht verhindern, dass die Menschen in meiner Umgebung Beschützerinstinkte
kriegen (was sicherlich nicht nur daran liegt, dass ich ziemlich klein bin, hellblonde
Haare und tausend Sommersprossen habe). Aber egal, dieses Problem kriege ich auch
noch in den Griff. Ich arbeite an mir. »Mir geht es prima und nun macht euch gefälligst
eine schöne Zeit.«
    Auf meinem
Fuß bildet sich ein kleiner Bluterguss. Ausgerechnet der Linke, der neulich erst
verletzt war.
    Nachdem
ich Vicki fest versprochen habe, dass ich mir nicht das Leben nehmen werde, bloß
weil sie nicht da ist, lege ich auf und hole mir ein Kühlkissen. Ich habe keine
Lust, wieder wochenlang in ergonomischen Öko-Fußbett-Latschen statt in High Heels
herumzulaufen. Also Fuß kühlen und stillhalten. Das kenne ich ja schon. Ich ziehe
mir einen dicken Strumpf an und stopfe das Kühlkissen hinein. Perfekt. Mit einer
großen Kanne Tee kehre ich zurück in die Bibliothek.
    Das ›Thierleben‹
liegt noch auf dem Boden. Ich bücke mich, um es aufzuheben. Leider haben sich beim
Runterfallen ein paar Seiten gelöst. Ich ärgere mich, dass ich so einen Schaden
an dem schönen alten Buch angerichtet habe. Vorsichtig sammele ich die losen Blätter
ein und lege sie zurück an ihren Platz. Ganz zum Schluss schaue ich unter dem Regal
nach, ob sich nicht eine Seite bis dahin verirrt hat.
    Unter Staub
und Spinnenweben liegt kein einziges Blatt, dafür ein ganzes Buch. Leicht angeekelt
fische ich es hervor. Der Schmutzschicht nach zu urteilen, staubt es bereits seit
Jahrzehnten da unten ein. Ich werde es abwischen und dann ins Regal stellen. Sobald
Vicki zurück ist, müssen wir das Zimmer einmal gründlich sauber machen. Wer weiß,
was wir außer Milbenkolonien und versteckten Büchern noch alles finden? Vielleicht
Schmuckschatullen, Wertpapiere … oder Leichen?
    Eine leichte
Gänsehaut überzieht mich. Alte Sachen sind faszinierend, aber ebenso ein bisschen
gruselig. Als ich klein war, hat Oma meiner Zwillingsschwester Lila und mir nämlich
davon erzählt, wie sie als Kind einmal um Mitternacht wach geworden ist und gesehen
hat, dass ihre Spielsachen und die ausgestopften Tiere in der Vitrine ihres Großvaters
lebendig geworden waren und im Zimmer herumgelaufen sind. Meine Schwester war begeistert.
Ich fand die Vorstellung gar nicht lustig, sondern fürchtete mich, und flüchtete
von da an jede Nacht ins Bett meiner Eltern, damit nicht eine meiner Barbiepuppen
auf die Idee kam, mich zu wecken und mir grinsend ihre Plastikhand zu reichen. Scheinbar
hat sich Omas Schauermärchen bis nach Hollywood herumgesprochen. Da haben sie nämlich
gleich einen ganzen Film darüber gedreht. ›Nachts
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