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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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vergebens auf ihn gewartet. Am Sonntag sind wir schließlich wegen der Anzeige zur Polizei gefahren.“
    „Du übertreibst, Antonia. Das war kein Streit. Wir hatten lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ Herr Nolte hat sich inzwischen in einem Sessel niedergelassen. Stocksteif sitzt er da und macht keinen Hehl daraus, dass er unsere Anwesenheit für absolut überflüssig hält. Auf dem Tisch vor ihm steht eine Tasse Kaffee.
    „Sie sind nicht der leibliche Vater von Ingo, richtig?“, frage ich trotz seiner ablehnenden Haltung und nehme damit einen Faden des vorherigen Gesprächs auf. Herr Nolte nickt knapp.
    „Ingos Vater kam bei einem Unfall ums Leben. Er hat das Architektenbüro gegründet. Rainer war sein Teilhaber und wir haben uns über die Arbeit kennengelernt“, sagt Frau Nolte-Aschendorff.
    „Haben Sie mit Ihrem Stiefsohn öfters kleine Meinungsverschiedenheiten?“
    „Wollen Sie damit andeuten, dass sein Verschwinden meiner Person anzulasten ist?“, faucht Herr Nolte. „Weil ich versuche, mir nicht die ganze Zeit von einem halbstarken Teenager auf der Nase herumtanzen zu lassen?“
    Ich bleibe ruhig und warte. Neben mir beobachtet Bo gespannt sein zornig gerötetes Gesicht.
    „Rainer, ich bin sicher, die Herren müssen solche Dinge fragen.“
    „Natürlich hat der Junge seinem Vater hinterher getrauert und fand es durchaus nicht witzig, einen Ersatz vorgesetzt zu bekommen. Obwohl ich auf gewisse Regeln bestehe, will ich nur das Beste für den Jungen.“ Bestätigung heischend sieht Herr Nolte seine Frau an, die auch sofort eifrig nickt.
    „Wir haben ein paar Pokale in seinem Zimmer gefunden“, berichtet Bo.
    „Computer sind Ingos große Leidenschaft. Er ist im Informatikkurs seiner Schule und zählt dort zu den Besten.“ Frau Nolte-Aschendorff platzt beinahe vor Stolz. „Ingo besucht diesen Kurs zusammen mit seinem Freund Stefan. Sie gehen übrigens in dieselbe Klasse.“
    „Blöder Computerkram.“ Abfällig gibt Herr Nolte seine Meinung zu dem Thema bekannt und greift sich seinen Kaffee. „Reine Zeitverschwendung ist das.“
    Seine Frau sieht ihn tadelnd an.
    „Hat Ingo eine Freundin?“, frage ich, den säuerlichen Hausherrn bewusst überhörend.
    „Ja, sie heißt Sabine. Ihren Namen habe ich ebenfalls auf die Liste geschrieben. Sie ist ein sehr nettes, hübsches und höfliches Mädchen aus gutem Hause“, antwortet Frau Nolte-Aschendorff.
    „Ist sie das?“ Bo zeigt ihr das Foto einer Blondine, das er auf Ingos iPhone gefunden hat. Sie nickt kurz.
    „Könnte Ingo bei ihr sein?“
    „Auf gar keinen Fall. Sie ist Ingos erste Freundin. Wissen Sie, Herr Amundsen, mein Sohn ist Mädchen gegenüber etwas schüchtern. Die beiden halten bislang ein wenig Händchen und geküsst haben sich auch schon. Aber mehr … Sie sind ja noch jung. Soweit ich weiß, gehen die beiden ab und an miteinander ins Kino oder in ein Café. Unter keinen Umständen würde Ingo bei Sabine übernachten. Und erst recht nicht, ohne mir Bescheid zu sagen.“
    Bo und ich wechseln einen raschen Blick. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass Mütter oft weniger über ihre Kinder wissen, als sie glauben. Selbst meine eigene Mutter habe ich stets im Tal der Ahnungslosen hocken lassen, was mir etliche Jahre Stubenarrest und Strafarbeiten erspart hat. Nein, Eltern sind stets diejenigen, die ihre Kinder am wenigsten kennen.
    „Ich würde das Notebook und das iPhone gerne mitnehmen. Vielleicht finde ich etwas Hilfreiches in den Dateien.“
    „Und was werden Sie unternehmen, das die Polizei nicht ebenfalls könnte?“, erkundigt sich Herr Nolte spitz. Ihm ist deutlich anzusehen, was er von Privatdetektiven hält. Nämlich nichts bis gar nichts.
    „Im Gegensatz zur Polizei werden wir sofort mit den Ermittlungen beginnen und nicht erst nach vierundzwanzig Stunden“, sage ich gelassen. „Auf der Wache wird man Ihnen sicherlich mitgeteilt haben, dass Kinder, die nach einem Streit verschwunden sind, in der Regel von alleine wieder nach Hause finden.“
    Frau Nolte-Aschendorff sieht mich verblüfft an. „Genau das wurde uns auf dem Revier gesagt. Wir würden von Ingo bestimmt bald ein Lebenszeichen erhalten.“
    „Das wird genauso sein, Antonia“, sagt Herr Nolte rigoros.
    „Nein, Rainer, das glaube ich nicht. Ingo ist nicht irgendein Teenager. Er ist mein Sohn und er hätte sich längst gemeldet.“
    „Mein Partner und ich werden uns zuerst bei Ingos Freunden und in der Schule umhören. Auf welche Schule geht er
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