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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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Prolog
    Freitag, 05. November
    17:26 Uhr
    Vor etlichen Jahren hatten die Behörden den Eingang zum Bunker im Haakewald zugemauert. Aber es dauerte nicht lange, bis Abenteuerlustige einen kleinen Durchbruch schufen und in dem kargen Ambiente wilde Partys feierten. Irgendwann verlor dieser zu abseits gelegene Ort seinen Reiz und geriet in Vergessenheit.
    Jetzt kommt nur noch er mit seinen Opfern hierher, um sich ungestört zu vergnügen. Als der Splitterschutz des Bunkers vor ihnen aufragt, scheint sein unwilliger Begleiter aus seiner Lethargie zu erwachen. Angesichts der Angst in dem Gesicht des Jungen quillt ein Kichern über seine Lippen. Er ist bereits voller Vorfreude, ihm sein Spiel über Leben und Tod zu demonstrieren. Dagegen versucht sein Auserwählter zu schreien. Der grüne Schal, den er dem Jugendlichen in den Mund gestopft und am Hinterkopf zusammengebunden hat, dämpft den erbärmlichen Protest.
    „Es wird dich niemand hören“, sagt er und kichert wieder. Der Junge versucht sich von ihm loszureißen.
    „Wirst du munter, ja?“
    Er gibt dem Hilflosen einen heftigen Stoß. Golden angehauchtes, rotbraunes Laub raschelt unter den Füßen, als sein gefesseltes Opfer stolpert und beinahe fällt. Ungeduldig schubst er den Jungen auf den Bunker zu. Es ist kurz vor Sonnenuntergang und die Sonne taucht den betonierten Eingang in orangefarbenes Licht. Doch der Teenager hat keinen Blick für die Schönheiten der Natur. Sein angstvolles Röcheln dringt durch den Schal. Erneut bleibt der Junge stehen und weigert sich mit steifen Gliedern weiterzugehen.
     „Da hinein“, befiehlt er und schubst den Jungen grob auf den schmalen Spalt zwischen den bröckelnden Mauersteinen zu. Der reißt die Augen auf, beginnt sich voller Panik zu wehren und tritt nach ihm. Damit hat er allerdings gerechnet. Auch die anderen Erwählten hatten sich gewehrt, als sie den Bunker als ihre persönliche Endstation erkannt hatten. Rasch zieht er ein Messer und hält die Klinge dicht vor das Gesicht des Jungen. Dessen blaue Augen werden riesig.
    „Siehst du das? Das ist ein Master Cutlery . Und hier, auf der Klinge, erkennst du den Schriftzug? Rambo III steht da. Rambo … So kannst du mich nennen, wenn du magst.“ Die Klingenspitze berührt die zarte Haut direkt unter dem linken tränengefüllten Auge des heftig atmenden Jungen.
    „Rambo“, murmelt er nachdenklich. Der Name war toll. Warum war er ihm nicht viel eher eingefallen? Die vorherigen Mitspieler hatten ihn mit seinem bürgerlichen Vornamen angesprochen. Rambo dagegen fühlt sich … richtiger an.
    „Ja, das gefällt mir. Jeder braucht einen Namen, der zu ihm passt, nicht wahr? Und Rambo, das klingt nach Entschlossenheit und nach Stärke. Nach Macht.“ Deswegen hat er sich genau dieses Messer gekauft. Er liebt die Survival-Klinge aus 420er Stahl mit der längs geschlitzten Rückensäge. Auch sein Opfer würde es lieben lernen, wenn es ihm den Todesstoß gab.
    Das Master Cutlery ist etwas Besonderes und nicht nur, weil es weltweit lediglich 5000 Stück davon gab. Als er es in dem Laden hatte liegen sehen, wusste er sofort, dass dies das richtige Instrument für sein Spiel ist. Ein Spiel, in dem er bestimmt, wann es für sein Opfer endet und es endgültig ausscheidet. Game over … Ja, er liebt die Angst seiner Mitspieler, die Qual in ihren Augen und die stille Hoffnung, vielleicht doch zu überleben. Es ist wunderbar, eine solche Macht ausüben zu können. Rambo lacht leise. Ihm allein obliegt die Entscheidung, welchen Regeln das Spiel folgt. Sicherlich, das Spiel ist hart und blutig. Aber nur wer Leid empfindet, der kann erlöst werden. Erlöst durch das Master Cutlery . Und über das Leiden weiß er inzwischen eine Menge …
    Der Junge unterbricht seine Gedanken, denn er tritt einen vorsichtigen Schritt nach hinten und stößt dabei mit dem Rücken gegen den schlanken Stamm eines jungen Baumes, der direkt am Eingang zum Bunker wurzelt.
    „Hast du Angst? Das ist gut. Das ist ein Teil des Spiels.“ Überraschend springt er auf den Jungen zu. Mit einem erstickt klingenden Quietschen fährt der zurück, bleibt mit dem Fuß an dem Baumstamm hängen und stürzt rücklings zu Boden. Im nächsten Moment reißt ihn Rambo an seiner Jacke in die Höhe und stößt ihn zum Mauerspalt. Drohend hebt er das Messer.
    „Keine weiteren Zicken. Hinein mit dir.“
    Ruppig zerrt er den Jugendlichen in die Schwärze des Bunkers. Alles Sträuben ist vergebens. Obwohl … es gehört ebenfalls zum
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