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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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schaut ihn vorwurfsvoll an. „Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den Jungen, Rainer.“
    „Besteht die Möglichkeit, dass er entführt worden ist?“ Ich ergreife jetzt erstmals das Wort. Sowohl Frau Nolte-Aschendorff als auch ihr Mann sehen mich irritiert an, weil ich ihre Auseinandersetzung so unsensibel unterbreche.
    „In diesem Fall hätte sich bestimmt jemand wegen eines Lösegeldes bei uns gemeldet“, sagt Frau Nolte-Aschendorff ein wenig ratlos.
    „Oder werden Sie erpresst?“, fragt Bo den Nolte. Der zieht bloß eine Augenbraue in die Höhe, als verstünde er die Frage nicht.
    „Sie arbeiten in einem Architektenbüro. Da geht es gewiss zum Teil um hohe Summen und wertvolle Grundstücke.“
    „Ja, denken Sie, ich entwerfe Holzhäuser für Spielplätze? Natürlich geht es in meinem Beruf um eine Menge Geld. Aber nein, ich werde nicht erpresst. Dieser respektlose Bengel ist von zu Hause abgehauen, weil er ein Problem mit Autorität hat.“
    „Rainer!“
    „Antonia, du weißt, dass ich die Wahrheit sage. Jedes Mal, wenn ich Ingo um etwas bitte, lehnt er es schon aus Prinzip ab.“
    „Er vermisst seinen Vater …“
    „Dürfen wir uns in Ingos Zimmer umsehen?“ Erneut unterbreche ich einen Disput, der bei einem Scheidungsanwalt enden könnte.
    „Ja, selbstverständlich. Die Treppe hinauf und die zweite Tür auf der rechten Seite.“ Frau Nolte-Aschendorff lächelt entschuldigend.
    „Wir brauchen ein möglichst aktuelles Foto von Ingo. Und eine Liste mit den Namen und Adressen seiner Freunde“, füge ich hinzu. Frau Nolte-Aschendorff nickt. Ihr Mann dagegen betrachtet mich mit säuerlicher Miene. Da ich keine Lust habe, Zeuge der sich anbahnenden Ehekrise zu werden, eile ich in Ingos Zimmer. Bo folgt mir dicht auf den Fersen.
     
     
    10:01 Uhr
    Für einen Siebzehnjährigen ist das Zimmer ziemlich aufgeräumt. Bo steuert direkt auf den Schreibtisch zu und beginnt in den Schubladen zu wühlen. Ich durchsuche den Kleiderschrank und hinterher das Bett. Betten können wahre Fundgruben sein. Zwischen Decke und Kopfkissen finde ich zu meiner Enttäuschung nur eine Computerzeitschrift. Das ist nicht gerade die Lektüre, die ich bei einem pubertierenden Jüngling unter der Bettdecke erwartet habe. Was ist denn aus der guten alten Bravo geworden oder besser, dem Playboy? Neben dem Bett entdecke ich einen Rucksack und beginne darin herumzukramen. Schulbücher, die Reste eines Frühstückbrotes, das verdächtig nach Leberwurst riecht, ein einzelner, müffelnder Turnschuh – hat man davon nicht in der Regel immer zwei? – und …
    „Eine Handyortung können wir uns sparen“, sage ich über die Schulter hinweg zu Bo und halte das gefundene iPhone in die Höhe.
    „Welcher Junge in dem Alter geht denn ohne sein Handy aus dem Haus?“
    Ich zucke mit den Schultern und sehe mir die gesendeten Nachrichten an.
    „An dem Tag seines Verschwindens hatte er Streit mit seinem Vater. Er lädt seinen Frust bei einem Stefan ab.“
    Bo nimmt mir das iPhone aus der Hand, sieht sich ebenfalls die Nachricht an und öffnet als Nächstes den Ordner mit den Fotos. Die Köpfe zusammensteckend schauen wir uns Bilder von Grimassen ziehenden Jugendlichen an.
    „Wir sollten seine Eltern direkt auf den Streit ansprechen. Nimm auch das Notebook mit, Robin. Vielleicht findest du da etwas Interessantes drauf.“
    Ich nicke, klemme mir das Notebook unter den Arm und packe ebenfalls einen USB-Stick ein, der in einer Stiftablage liegt. Dann werfe ich noch einen Blick auf die Pokale, die auf einem Regal aufgereiht sind.
    „Was haben wir denn hier?“, frage ich überrascht und lese vor: „Erster Platz, Regionalwettbewerb Informatik. Sieger des Jahres 2010 für Jugend forscht. Und dazu ein zweiter Platz für eine Spieleprogrammierung 2009. Der Bursche scheint ein Computerfreak zu sein.“
    „Wenn er in einem Verein ist, sollten wir uns dort umhören“, schlägt Bo vor.
    Gemeinsam kehren wir zu Ingos Eltern zurück. Frau Nolte-Aschendorff wartet bereits ungeduldig mit einer handgeschriebenen Liste und einem Foto ihres Sohnes.
    „Wir haben Ingos iPhone in seinem Zimmer gefunden. Hat er es öfters zu Hause gelassen?“
    „Nein. Er schaltet es aus, wenn er sich mit meinem Mann streitet. Ingo zieht sich nach diesen Differenzen zu einem seiner Freunde zurück und will nicht angerufen werden“, erklärt uns Frau Nolte-Aschendorff. „Aber am nächsten Tag ist er immer wieder da. Diesen Samstag habe ich nach Ingos Streit mit Rainer allerdings
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