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Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind
Autoren: Männer sind wie Schuhe
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meine Einwände beiseite. »Sie als Profi müssen doch ihr Talent und ihr Vermarktungspotenzial erkennen. Des hat mit Mitleid nix zum tun! Die Vicki spielt heut Abend die Ende.«
    »Das Ende?«, versuchte Christian Meran das Fränkische zu korrigieren.
    »Die Ente«, übersetzte ich. »Nein, sie spielt die Katze. Die KATZE, Gerngroß. Die Oboe ist die Ente.«
    »Wieso Mitleid?«, fragte Christian irritiert. »Wenn sie so begabt ist und so gut spielt?«
    »Ihre Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, sagte ich mit belegter Stimme. »Und sie selbst wurde schwer verletzt.«
    »Ende, Katse, des is doch wurscht!« Gerngroß baute sich vor Christian Meran auf: »Meine Vicki ist hochbegabt, auch ohne Beine! Mer ham en Test machn lassn, da war se drrraai! Da konnt se schon ›Alle maine Entchen‹ auf dem Klavier spieln! Fehläfrai!« Er packte Christian Meran an den Schultern. »Und jetzt nach dem Unfall könn mer se ganz toll vermarktn, das wär ein subber Image für die Musikschul. Da käm richtig Kohle rein.«
    »Gerngroß!«, zischte ich warnend. »Es reicht.«
    Der Bäckermeister klammerte sich am Flötisten fest: »Ich möcht Ihr fachmännisches Urteil einholn. Schaun S’ sich des Madla an. Wie s’ dasitzt. Ein Publikumsmagnet. Alle guggn nur auf meine Vicki. Sie muss zu ›Weddn dass‹!«
    ›Wetten, dass?‹ Christian Meran war sichtlich irritiert. »Als was?«
    »Als Klarinettistin«, sagte ich trocken. »Die Noten lesen kann.«
    »Meine Tochtä hat das Zeug zum Weltstar!« Der Bäckermeister packte den Flötisten am Ärmel. »Sie könne das doch bestimmt arrangiern! Sie kenne doch sichä den Gottschalk und die ganzen Leut vom ZDF!«
    »Äh … nein.« Christian Meran machte sich sanft los und trat noch einen Schritt zurück. Mehr ging nicht, denn dann kamen ich und das Fenster.
    »Gerngroß, du vertreibst mir noch unseren wirklichen Welt star«, stammelte ich betont fröhlich. »Nachher fliegt unser Vogel davon, noch bevor das Konzert begonnen hat!«
    »Ach was! Ich lass mich nicht mehr ausbremsen von dir, Lodda! Du willst ja das Potenzial meiner Tochter net anerkenne!« Wütend funkelte mich der Bäckermeister an. »Du tust so, als wär sie irgendeine dahergelaufene kleine Schülerin wie alle andern, die von Tudn un Blasn keine Ahnung ham!« Ich schämte mich entsetzlich. Ich spürte, wie es in mir brodelte.
    »Gerngroß, lass unseren Gast los!«
    »Der will net kapiern! Genau wie du, Lodda! Mei Madla kann Weltkarriere machn! Aber nur solang se noch so klein ist! Die muss man JETZT vermarkten, JETZT! Später, wenn se aussieht wie alle anderen Rollstuhlfahrer, ist unser Pulver verschossen!« Er wandte sich erhitzt an den Flötisten, der sich hinter meinem Schreibtisch in Sicherheit gebracht hatte, während Frau Zweifel entsetzt durch den Türspalt spähte: »Ich hab schon alle Bäckerei-Großmärkte und Backwaren-Konzerne mit im Boot! Wenn meine Vicki erst berühmt ist, gibt es das Vicki-Mohn- Hörnchen, das Vicki-Vollkorn-Brötchen und das Vicki-Schwatz brot in jedem Supermarkt! Für den Knochenaufbau! Da steig mer ganz groß in die Werbung ein!«
    »Gerngroß, das ist dermaßen deplatziert und geschmacklos …« Ich schluckte.
    »Vitamin B!« Der Bäckermeister hieb mit der Faust auf den Tisch. »Beziehunge! Meine Vicki braucht den Auftritt bei Weddn dass! Mit den Wiener Philharmonigern! Des lässt sich doch sichä ainrichtn! Sie kriegen von mir dafür lebenslang die Berliner gratis!«
    »Wie? Die Berliner Philharmoniker?« Christian Meran war wirklich schlagfertig.
    »Nein, Sie Witzbold. Die Berliner Krapfen!«
    Ich atmete schwer. Mir war die Situation völlig entglitten.
    Christian Meran winkte ab: »Ach nein, vielen Dank. Ich versuche doch, in Form zu bleiben …«
    »Jetzt stellen S’ sich doch nicht so stur!«, fiel ihm der Bäckermeister ins Wort. »Ich verköstige Ihr gesamtes Orchester lebenslang mit allen Backwaren, die Sie wollen. Vorausgesetzt, ihr lasst meine Vicki mit euch auftreten!«
    Das artete fast in ein Handgemenge aus. Frau Zweifel überlegte bestimmt schon, die Polizei zu rufen. Ich schob mich zwischen die beiden Männer und versuchte meinen Gast zu schützen. Der legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter.
    Erklärend drehte ich mich zu Christian Meran um: »Sie ist zwölf, und sie sitzt im Rollstuhl.«
    »Ja, des isses ja gerade!« Der Bäckermeister raufte sich die Haare. »Kapiert des denn niemand hier in dieser verschissenen Kleinstadt? Mit den richtigen Partnern
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