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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor
Autoren: Stefan Kiesbye
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»Ein Geist.«
    »Du wirst schon sehen. Der Alex wird noch vor mir krepieren.«
    »Klar«, sage ich, aber meine Antwort ist ihr nicht genug, und sie dreht sich um und lässt mich stehen. Sie ist eine gute Freundin. Auf ihre eigene Weise ist sie Anke Hoffmann noch immer treu. Sie hat Anke nie vergeben; das war sie ihrer Freundin schuldig. Ihr Hass hat die beiden ein Leben lang verbunden, und nun da Anke tot ist, lebt sie nur in Lindes Hass gegen Alex weiter. Was soll Linde in einem anderen Haus, einer fremden Stadt anfangen?
    Und ich? Ich habe nichts zu vergeben und zu vergessen, niemand hat mich je genug geliebt, um mich bis ins Grab zu hassen. Meine Frau ist gestorben, und sie hat mich nie gekannt, von dem Jungen aus Hemmersmoor nichts gewusst. Sie hat die Vergangenheit wie einen alten Mantel weggelegt.
    *
    In meinem Haus steht die Anrichte am gleichen Ort wie früher, und ich habe die alten Fotografien aufgestellt. Bäcker Meier und mein Vater lachen mir zu. Sie sind verblasst, ergraut, sie sehen fast harmlos aus. Zwei junge Männer, die ihr Leben gerade erst begonnen haben. Doch die Toten sind unruhige Geister, mischen sich in alles ein. Ich habe einen leichten Schlaf, und sie spüren es und dringen in meine Träume ein. Das ist ganz leicht für sie, und ich kann nach ihnen schlagen, wie nach Flöhen oder sonstigem Ungeziefer, aber ich werde sie nicht los. Meine Mutter und meine Schwestern leisten mir Gesellschaft und beklagen ihr Schicksal, mein Leben und den Zustand meiner Kleider. Der Dorfgendarm besucht mich und auch die von Kamphoffs, deren Gut mit Alex’ Hilfe wieder auf dem Hügel stehen wird, den der Riese Hüklüt einst zurückließ. Sie leben in meiner Stube, ganz ungeniert lungern sie auf meinem Sofa und lassen sich auf dem Teppich vor dem Kamin nieder. Ich verabscheue sie, aber sollten sie mir dereinst den Rücken zukehren, was wird mir dann bleiben?
    Falls ich Hemmersmoor eines Tages wieder verlassen sollte, werde ich das Haus nicht niederbrennen müssen. Alex hat mir schon oft angeboten, es zu kaufen, und er wird sich meiner Habseligkeiten rascher entledigen, als ein Feuer sie vernichten könnte. Er plant, eine kleine Boutique zu eröffnen, vielleicht einen Antiquitätenladen. Ich werde noch weniger als ein Geist sein. Sollte je ein Mensch nach meinem Verbleib fragen, werden Martin, Linde und Alex nur verständnislos die Köpfe schütteln. Ich kann mich auf meine alten Freunde verlassen – Christian Bobinski, den bleichen Jungen, wird es nie gegeben haben.

DANK
    Michael Gaeb, für sein Vertrauen.
    Tom Kraushaar und Frank Wegner, für ihre Vision.
    Aaron Burch, Jens Seeling, Jeff Parker, Elizabeth Ellen, Adam Cushman und dem Tortoise & Hare Team, für Bier, Freundschaft und Unterstützung.

ÜBER DEN AUTOR
    © Sanaz Kiesby
    Stefan Kiesbye , geboren 1966 in Eckernförde an der Ostsee, studierte Schauspiel, danach Amerikanistik, Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaften an der FU Berlin, in Buffalo, New York und der University of Michigan.
Er unterrichtet Kreatives Schreiben im UCLA Extension Writers’ Program. 2009 erschien sein Roman »Nebenan ein Mädchen«. Kiesbye ist verheiratet und lebt in Los Angeles.
     
     
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