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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter.
Autoren: Michael Heininger
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lockte, stets lockt der Neuanfang.
    Manuel spricht deutsch. Er ist der nette Wirt der Bar „Frontera“ in der
    Calle St. Catalina gegenüber der Herberge. Er suchte einst sein besseres Leben in Deutschland. Wirkt er auch ein wenig brummig, beantwortet er doch gerne dem Pilger Fragen zum „Ende der Welt“ und Busfahrplan. Er bereitet auch ein frühes Frühstück. Auf Wunsch mit Nutella.
    Ein Spaziergang durch den Ort mit seinen engen Gassen und den steilen Treppen hinunter zum Hafen ist lohnend. Mancher Besucher lernt die Altstadt gar nicht kennen. Schade. Die gestylten Restaurants lasse ich links und rechts liegen. Ich besuche die Bar „Miramar“ im Puerto am Meer, wie der Name schon sagt. Dort gibt es allerlei aus selbigen: Die Calamares sind nicht zäh und wie runde Pommes aussehend, sondern äußerst köstlich. Auch Chipirones (kleine Tintenfische) und Navajas (Schwertmuscheln) sind ein Genuss. In der Saison werden die oft unter Lebensgefahr gefischten Percebes aufgetischt. Wir nennen sie „Entenmuscheln“ - es handelt sich aber um Krebse. Saisongeschäft sind ebenso die Vieiras (Jakobsmuscheln) und Makrelen. Wirbt ein Restaurant im Sommer mit „Hoy sadinas“, sollte man einen Bogen darum machen. Abends ist es ganz gemütlich in der Bar „Galleria 25“ in der Rúa Real 25 hoch über dem Hafen. Das schmale Lokal ist schwer zu finden und schwer zu verlassen.
    Im „Hospedaxe Lopez“ übernachte ich für zwanzig Euro im sauberen Einzelzimmer, jedoch ohne eigenes Bad. Die Pension befindet sich in der Calle Carrasqueira - leichter zu finden als auszusprechen: Sie ist in dem nicht zu übersehenden weißen „Hochhaus“.

Milliarden sind vor mir gegangen, da werde ich es auch schaffen

    Leichter Regen begleitet mich auf meinem letzten Gang zum Leuchtturm von Fisterra. Die Wetterlage passt sich meiner Gemütslage an. Mein letzter Gang! Während der Wanderung fand ich Zeit, über den allerletzten Gang nachzudenken, den Tod.
    Er saß eine Weile in der Kneipe, jetzt macht er sich an den Aufbruch. Ein anderer Gast fragt: „Du willst schon gehen?“ „Ich habe genug.“ Ist auch der Tod so einfach, so einfach zu verstehen? Genug haben und gehen? Während des Gehens dachte ich über das Vergehen nach. Millionen vor mir sind den Weg gegangen, da werde ich es auch schaffen - das hatte ich mir oft vor und während meiner ersten Wanderung nach Santiago gesagt. Und ich habe es geschafft, es war leichter, als ich geahnt hatte. Es ging? Ich ging. Vielleicht ist auch der letzte Gang leichter und unbeschwerter, als ich es mir heute vorstelle. Milliarden vor mir sind den Weg gegangen, da werde ich es auch schaffen. Das Gehen wird schon gehen.
    Der Leuchtturm von Fisterra! Ja, jetzt bin ich wirklich am allerletzten Ende der Welt angekommen. Das Ende erweist sich als nicht unangenehm: Die Bar hat geöffnet. 2004 hatte ich nach altem Pilgerbrauch Strohhut und Wanderhose, nachdem ich die Taschen geleert hatte, angezündet. Pilger wollen so symbolisch ihr altes sündiges Leben für immer beseitigen. Diesmal verzichte ich auf das Ritual: In den Klippen sind schwarze, verschmorte Reste von Kunststoffhosen zu finden. Bei Wanderungen durch Deutschland hatte ich meine Frage nach einer Zelterlaubnis auf Privatgrundstücken immer mit einem Reim geschmückt: „Ich mach kein Feuer, ich mach kein Dreck, morgen früh bin ich wieder weg.“ Da möchte ich auch nicht am Ende von Wanderung und Welt Unrat hinterlassen.
    Meine Wandertage sind gezählt. Ursprünglich wollte ich die Wanderung fortsetzen und mich von Santiago in Richtung Afrika bewegen, es sollte nicht sein. Zu meiner Überraschung bin ich nicht traurig über das Scheitern des Vorhabens. Ich bin zufrieden, gesund in Fisterra angekommen zu sein. Ich bin dankbar für die Einsicht, wie unsinnig mein Streben nach Steigerung der Streckenlänge war. Allem Anschein war auch ich angesteckt von gesellschaftlichen Dogmen wie Optimierung, Wachstum, Höchstleistung, der Sucht nach „mehr“. Immer mehr, immer weiter, immer höher.
    Es hat aufgehört zu regnen. Ich bin auf dem Rückweg und in Gedanken. Gläubige Menschen haben es leichter im Umgang mit dem Tod - wenn ich mich nicht täusche. Haben sich Menschen die Religionen ausgedacht um zu hoffen, um zu trösten? Ist die Angst vor dem Tod die Strafe für Ungläubige? Eine Bestrafung, die im Leben erfolgt, nicht nach dem Tod? Lebt umgekehrt der Gläubige bereits zu Lebzeiten im Paradies?

Bedenke stets, dass alles vergänglich ist, dann
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