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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter.
Autoren: Michael Heininger
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Ferne wird eine große Wasserfläche sichtbar. Stausee oder ein erster Blick auf das Meer? Einerlei, ich komme voran und bin traurig, dass meine Wanderung bald zu Ende sein wird. Morgen werde ich das „Ende der Welt“ erreicht haben!
    Da beginnt ohne Vorwarnung das Unwetter aufs Neue. Man könnte meinen, das Ende der Welt sei bereits jetzt schon da. Wassermassen brechen aus den Wolken heraus und hinein in meine Schuhe. Nie wieder!
    Zum Glück gibt es in Olveiroa eine Herberge mit trockenem Bett und eine Bar mit dampfendem Bohneneintopf.

Wir sollten uns beobachten, wie wir durch unser Leben gehen

    Sengende Sonne, staubige Pisten und Partystimmung im Pilgerpulk. So habe ich die letzten Etappen vor Santiago in Erinnerung. Heute gehe ich allein meinen Weg. In aller Seelenruhe verlasse ich Olveiroa. Es regnet nicht, aber es ist unbestreitbar: Der Herbst ist da. Reife Trauben werden gestampft, gequetscht, gepresst. Erinnerung sind die blühenden Reben am Main zu Beginn meiner Tour. Die prallen Trauben im Burgund - Erinnerung nur.
    Ich mag den Herbst, mag den Wechsel der Jahreszeiten. Herbst bedeutet Ende des Sommers, aber noch nicht Ende des Jahres. Zeit, Rückschau zu halten und einen Ausblick aufs neue Jahr zu wagen. Ich mag Wanderungen im November bei widerlichem Wetter, nass und neblig. Und die Tage im Haus: andere Geräusche, andere Gerüche. Die Heizkörper, obwohl schon lange nicht mehr lackiert, verbreiten alle Jahre wieder zu Beginn der Heizperiode das Odeur von frischer Farbe
    - ein Duft des Winters, bald angenehm überlagert vom Wohlgeruch aus der Küche: Weiße Bohnen mit Hammelfleisch, Chilischoten und unverschämt viel Knoblauch. Ich denke jetzt oft an zu Hause. Aber noch bin ich unterwegs zum „Ende der Welt“. Die geöffnete Tür des Cafés wirkte einladend. Eine ältere Pilgerin begeistert im Café eine mich begeisternde Dunkelhaarige mit ihrer Ansicht: „Das Leben kann jeden Moment zu Ende sein. Sei darauf vorbereitet und lebe im Hier und Jetzt. Das ist mein Leitgedanke.“ Die Menschen gönnten sich keine Ruhe. „Sie werden vom Wesentlichen abgelenkt, wollen abgelenkt werden.“ Kinder, Karriere, Hausbau, Fernreise - stets verdränge man damit den Gedanken an das Unausweichliche. Selbst die Alten hetzten zum Computerkurs. „Und gehen zur Modenschau für Senioren! Anstatt Modelle zu betrachten, die sich auf dem Laufsteg bewegen, sollten wir uns selbst beobachten, wie wir durch unser Leben gehen - so als wären wir eine Figur aus der Lindenstraße!“ Die beiden Frauen lachen. Sie bedürfen nicht meiner Anwesenheit. Mein heutiges Ziel: Fisterra.
    Es war ein gutes Jahr. Aufbruch im Frühling, im Sommer reiften Gedanken. Jetzt ist Herbst. Es geht ans Einmachen. Ich bin satt. Satt vom Umherschweifen. Bald kommt der Winter. Na und? Der Sommer war heiß und lang und genug davon. Ich freue mich auf die Winterruhe, den Winterschlaf. Ich will nicht weiterwandern, will nicht weiter. Ich will zur Ruhe kommen. Ankommen. Endlich zu Hause sein. So könnte das Sterben sein. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das Bewusstsein meiner Endlichkeit beunruhigt mich zutiefst.
    Ich bin endlich in der Unendlichkeit -das bereitet mir Sorgen. Doch werde ich jemals fragen: „Wann bin ich endlich in der Unendlichkeit?“ Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Mit Koffer und Liegestuhl statt mit Rucksack und Schlafsack

    Galicien ist grün. Im Gegensatz zum Pilger freuen sich Eukalyptus und Pinien über den häufigen Regen. Pilger schätzen das Wasser in anderer Form: das Meer, den Ozean. Wer will sich da an die Bilder der ölverseuchten Küste Galiciens erinnern? An die Tausende tote Vögel? Die Folgen sind bis heute nicht ganz beseitigt.
    Viele Santiago-Pilger wollten auch das Meer sehen. Einmal im Leben das Meer sehen! Vom Standpunkt der Religion endet die Pilgerreise am Grab des Heiligen. Das Paradies befindet sich nicht jenseits des Meeres. Doch die Statue am Praza de Santa Catalina in Fisterra erinnert an die Galicier, die auf Erden schon ein neues Lied, ein besseres Lied singen wollten. Hoffnung auf ein Leben ohne Hunger trieb sie hinaus, weit weg von ihrer Heimat nach Südamerika, nach Argentinien. Die Plastik zeigt einen galicischen Auswanderer mit Ausrüstung für die Überfahrt: Koffer und Liegestuhl. Erinnert das nicht an unsere Ausrüstung Rucksack und Schlafsack? Ist es nicht auch Not, die Pilger hinaustreibt ins Unbekannte? Hoffnung auf Neuorientierung, auf ein neues, besseres Leben? Stets
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