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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter.
Autoren: Michael Heininger
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Jakobsweges. Der führt mich bei wanderfeindlicher Hitze in den Kahlgrund nach Königshofen. Im „Hauhof‘, kurz bevor ein Steg die Kahl nach Schimborn überbrückt, locken kühle Apfelschorlen. Die Temperatur steigt weiter.
    Über Unterafferbach und Goldbach erreiche ich das Tagesziel: Aschaffenburg. Hier beginnt ein gutes Stück des Jakobsweges. Fast 500 Kilometer lang ist die Teilstrecke bis Colmar. Und von dort sind es durch Frankreich und Nordspanien nur noch 2000 Kilometer bis nach Santiago.
    Im Juni 2004 hatte ich mich zum ersten Male auf den Weg gemacht, auf anfangs der gleichen Strecke. Erinnerungen - auch an das schwere Gepäck. Diesmal ist der Rucksack leichter. Habe ich etwa etwas vergessen? Ich ertaste in der Hemdtasche Ausweis und Scheckkarte. Beruhigend: Unterwegs kann der Pilger fehlende Ausrüstungsteile nachkaufen - bis auf gut eingelaufene Schuhe.
    2004 erstand ich einen Gürtel, damit ich außer einigen Kilo Körpergewicht nicht auch noch meine Wanderhose verloren hätte.

Wir können aus Bruchstücken etwas Neues entstehen lassen

    Der Wegweiser vor der Stiftsbasilika weiß: „Aschaffenburg - Santiago de Compostela 2.450 km“. Wer eine weite Wanderung plant, muss sich vertraut machen mit Karten und Wegmarkierungen. In Spanien ist der Weg ausgezeichnet ausgezeichnet, doch in Deutschland gibt es keine durchgehende Kennzeichnung bis zur französischen Grenze. Aber regionale Wandervereine haben meist gute Arbeit verrichtet und mit Markierungen an Bäumen und Steinen auch ortsfremden Wanderern Hilfen mit auf den Weg gegeben, sich sicher zu orientieren.
    Mit einer Karte in nicht allzu großem Maßstab und jenen Markierungen in der Natur kann man sich so eine individuelle Route zusammenbasteln. Im Spessart hat der Spessartbund Zeichen gesetzt. Meist sind es rote Symbole auf weißem Grund, beispielsweise ein roter Punkt oder ein rotes Kreuz. Halt - letzteres darf nicht mehr sein! Das rote Kreuz ist nur dem Roten Kreuz vorbehalten. Jemandem in der europäischen Bürokratie ist das aufgefallen und dieses Zeichen darf nicht mehr verwendet werden. Zunächst sprach man noch listig von einem „roten Plus“ statt dem „roten Kreuz“, doch es hat nichts geholfen: Diese Markierung soll geändert werden. Warum?
    Es könnte ja ein Verletzter vergeblich mit Hilfe dieses Zeichens eine Sanitätsstation suchen!
    Ich finde auch so hinaus aus der Stadt. Die Stationssteine eines Kreuzweges sind verziert mit Mosaiken: Reste, Splitter, Abfall - sortiert und zusammengesetzt ergeben sie ein buntes Bild. Auch wir können aus den Bruchstücken unseres bisherigen Lebens etwas Neues entstehen lassen. Der Jakobsweg hilft, im eigenen Scherbenhaufen die Mosaiksteinchen zu finden und sinnvoll anzuordnen.
    Die Hitze steigt. Ich gestatte mir ein Kurznickerchen im Schatten, ein Viertelstündchen nur. Schwitzend erreiche ich Sulzbach und Kleinwallstadt. Riesige Schlote kündigen Elsenfeld an und dann, erfreulicher, künden Weinberge von Erlenbach. Über die Mainbrücke gelange ich nach Wörth, werde freundlich auf dem Campingplatz aufgenommen und ausreichend mit Flüssigkeit versorgt. Am Morgen hatte ich am Brunnen vor der Stiftskirche eine aus gelbem Sandstein gearbeitete Pilgerfigur entdeckt. Doch ich freue mich auf meine echten Kollegen. Auf dem Jakobsweg treffen sich Wanderer aus Spanien, Frankreich und Deutschland mit Iren, Polen und Schweizern, mit Katalanen, Basken und Galiciern. Alle haben das dasselbe Ziel: die Kathedrale in Santiago de Compostela. Frauen und Männer, alte Pilger und junge Pilger aus aller Welt - aus Brasilien, Neuseeland und Japan.
    Hoffentlich sieht nicht mal ein Japaner im Spessart das Zeichen „Roter Punkt auf weißem Grund“ und meint, hier ginge es zu seiner Botschaft.

Es fehlen einfache und bezahlbare Unterkünfte für die armen Pilger

    Über die Brücke gehe ich von Wörth nach Erlenbach und biege oberhalb vom Schwimmbad in den „Rotweinwanderweg“ ein. Er piekst meinen Fuß schon eine Weile: ein Stein. Ich habe aber keine Lust, anzuhalten und den Schuh auszuleeren. Durch solch eine Dummheit produziert man Blasen. Eine Ruhebank lässt mir keine Ausrede. Jener Stein ist nur ein Steinchen, ein Stückchen Spessart. Da kommt mir eine Idee: Ich lasse das Bröckchen Buntsandstein nicht einfach im Weinberg zurück, sondern packe es in den Rucksack - zu seinem großen Bruder aus Gelnhausen. Mit beiden habe ich noch etwas vor.
    Der mit blauem „M“ gekennzeichnete „Mainweg“ ist heute mein Weg.
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