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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter.
Autoren: Michael Heininger
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bisschen blöde vor. Doch man gewöhnt sich daran und nach einigen Tagen will man seinen Begleiter nicht mehr missen. Eine
    Kopfbedeckung ist schon wegen der Sonnenbestrahlung unerlässlich. Mir ist am liebsten ein Hut aus Stroh, da bleibt es drunter schön luftig.
    Doch heute kann mir die Sonne nicht gefährlich werden, ich verlasse Dobel im Nebel. Nebel, Hitze, Schwüle, Gewitter, Unwetter, Hagel, Nieselregen, Dauerregen, Kälte - aber auch bestes Wanderwetter, all das hatte ich bisher gehabt. Fehlt da noch etwas? Beim Abstieg auf dem schmalen, sehr steilen Pfad ins Tal ist mir der lange Wanderstab sehr hilfreich, ich kann mich gut abstützen. Trekkingstöcke sind da sicher nicht so gut geeignet. Auch hier gilt: vorher ausprobieren. Wetterbedingt verbringe ich die Nacht in der Jugendherberge in Forbach. Jeden Tag kann ich mir solchen Luxus nicht leisten, das geht ins Geld. Dafür habe ich hier ein Zimmer für mich allein. Im Fernsehraum flimmert die Fußball-EM vor sich hin. Gespielt wird im Sankt-Jakob-Park zu Basel. Der gütige Herbergsvater verkauft Flaschenwein. So gilt mein Interesse nicht der müden Kickerei, sondern einem hiesigen „Oberkircher Renchtäler Spätburgunder“.
    Der große Dichter des 17. Jahrhunderts, der Gelnhäuser Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen, wirkte in Oberkirch als Gastwirt und in Renchen als Schultheiß. Er wusste: „Du edler Rebensaft schaffst Leben, Lust und Kraft.“ Grimmelshausens Simplicius war Pilger. Um den Weg leidvoller zu machen, schütteten sich damals manche Pilger einige Erbsen in die Schuhe. Simplicius hatte aber auf seiner Wanderung nach Einsiedeln die Erbsen vorher weich gekocht.

Ich liege inmitten einer blühenden Sommerwiese und habe Zeit

    Hätte ich in Forbach noch einkaufen sollen? Das Frühstücksbuffet in der Jugendherberge war großzügig und zur Not habe ich noch ein Stück Brot und etwas Edamer vom Vortag. Außerdem finde ich Hungergefühle nicht so tragisch, sie sind Teil der Vorfreude auf das Abendessen. Wichtiger ist, genügend Wasser dabei zu haben. Das transportiere ich in normalen Plastikpfandflaschen, die ich Behältern aus Metall vorziehe. Mehr als einen Liter habe ich in Deutschland nie mitgeschleppt: In Geschäften oder an Brunnen kann ich meinen Vorrat stets nachfüllen. Oder ich klingele an einer Haustüre und bitte um Trinkwasser. Klopft an, so wird euch aufgetan.
    Das Wetter hat sich gebessert. Langsam will ich gehen, nicht schnell vorbeieilen an Schönem und auch an nicht so Schönem, an Wichtigem und vermeintlich Unwichtigem. Genießen, Düfte tief einsaugen. Es riecht nach Blüten, Tannen, nach Harz. Und Landwirtschaft. Heute bin ich noch nicht sehr weit gekommen und pausiere bereits am Schwarzenbachsee. Im flachen Bach rastet ein Feuersalamander. Wir beobachten uns.
    Stille. Schon früher hatte ich festgestellt, dass ohne Begleitung von Musik oder einem Gespräch der Genuss einer besonderen Speise oder eines großen Weines viel intensiver wird. In der Stille des Waldes komme ich in den Genuss, weit in mein mir bisher unbekanntes Inneres vorzupreschen -ohne jede angenehme Ablenkung. Herrenwies. Hundseck. Hochkopf. Ich habe Zeit. Das war 2004 anders. Wie hatte ich mich da beeilt! Ich befürchtete, es bis zu meinem großen Ziel nicht zu schaffen. Geld oder Kondition konnten schon vorzeitig zu Ende sein. Doch ich habe vom Weg nach Santiago de Compostela gelernt, mit Zuversicht und Anpacken ein Vorhaben zu verwirklichen. Ein Wille versetzt Berge? Auf jeden Fall lassen sich mit Wille Berge überwinden.
    Und der Wanderer wird mit grandioser Aussicht für den Aufstieg belohnt. Oder bestraft, falls er viel im Rucksack hat. Der Wanderer sollte bereits beim Packen Abschied nehmen - vom Überflüssigen und Nichtnotwendigen. Die Karten durchwanderter Gebiete schicke ich nach Gebrauch per Post nach Hause. So hat das aktuelle Blatt jetzt ausgedient mit Erreichen des Wanderheims Ochsenstall, ein Idyll trotz Schuhputzautomat.
    Ich habe Zeit. Doch die reicht nicht aus, alles aufzunehmen, was der Weg an Interessantem bietet. Man kann nicht jede Kapelle besuchen, von allen weltlichen Genüssen versuchen. Na, hier im Ochsenstall darf es schon ein Bembel Apfelmost sein. Und eine Portion von der Hausmacher . Was ist eine Wanderung ohne Einkehr?
    Ich habe Zeit. Ich liege inmitten einer blühenden Sommerwiese, die Augen geschlossen. Ich bin weit weg, da, wo man zu Fuß nie hinkommt. Was ist eine Wanderung ohne innere Einkehr?

Ein Glas aus Glas statt
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