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Heinz Strunk in Afrika

Heinz Strunk in Afrika

Titel: Heinz Strunk in Afrika
Autoren: Heinz Strunk
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mir eine Kanne grünen Tee und setze mich vor den Fernseher.
    Die aktuellen Wetterverhältnisse verheißen nichts Gutes: Leipzig minus 16 Grad, München minus 12, Frankfurt minus 10, Hamburg minus 8, irgendwo in einem kleinen bayrischen Kaff wurde mit minus 34,6 Grad mal wieder der Kälterekord gebrochen. Der Düsseldorfer Flughafen ist geschlossen, alle Flüge nach Amsterdam und Nizza wurden gecancelt. Von Hamburg, Frankfurt und Wien ist Gott sei Dank nicht die Rede. Noch nicht. Ach, ach, ach. Es bleiben sechs Stunden, um zu tun, was getan werden muss: Heizung runter, Wasserhähne zu, versteckte Stromfresser aus. Ein letztes Vollbad. Da es in Kenia über 30 Grad heiß sein soll, entscheide ich mich für Jeans, Oberhemd und Pullunder. Pullunder lassen sich in Windeseile aus- und wieder anziehen. Ein Hemdknopf ist in zwei Hälften auseinandergebrochen. Die elektrische Zahnbürste thront seit Tagen vollständig geladen auf dem Aufladegerät. Taxi habe ich zur Sicherheit bereits am Vorabend bestellt. Verschicke eine Rund- SMS : «Bin ab heute für zwei Wochen in Afrika. Frohe Weihnachten.» Letzte Kontrollrunde: Pass, Schlüssel, Telefon, Geldbörse, Telefon. Es schneit noch immer. Auf den paar Metern von der Haustür zum wartenden Taxi fingere ich schon mal mein Portemonnaie heraus, ein Zwei-Euro-Stück hat sich irgendwo verfangen, es fällt heraus und schlägt ein langes, dünnes Loch in den Schnee. Ich rutsche weg und lege mich volles Brett auf die Fresse. Mein erster Gedanke: Hoffentlich ist was gebrochen. Dann hat der Spuk ein Ende, und ich kann hierbleiben. Beweg, tast, tätschel, prüf. Offenbar nicht. Ungeschickt versuche ich, wieder hochzukommen, ich hoffe, es sieht niemand. Bis auf den Fahrer. Der
muss
es gesehen haben, aber statt mir behilflich zu sein, bleibt er in seinem schönen, neuen, warmen Mercedes sitzen.
     
    Beim Ausladen meines Koffers ist er mir auch nicht behilflich, und ich behalte mir vor, ihn nach meiner Rückkehr bei der Zentrale anzuschwärzen. Während des Eincheckens studiere ich die Flugziele auf der Anzeigetafel. Montreal, Kairo oder Mauritius kann ich ja gerade noch verstehen. Aber Burma. Laos. Oman. Meine Güte, wer fliegt warum nach Burma?! Reisen ist einfach zu billig geworden.
    Die Sicherheitskontrolle ist erst das dritte von insgesamt dreizehn Hindernissen (Taxifahrt – einchecken – Sicherheitskontrolle – Transfer – Gepäckband – Terminal suchen – einchecken – Sicherheitskontrolle – Flug nach Mombasa – Passkontrolle – Gepäck-Transfer – im Hotel einchecken), die es zu überwinden gilt. Am Gate werde ich mit der Ansage empfangen, dass sich Flug L 017 Hamburg–Frankfurt verspätet, neue Abflugzeit voraussichtlich 15 Uhr. Eine Stunde Verspätung, jetzt schon! Vorsorglich besorge ich mir ein Käsebrötchen, Hunger überkommt einen ja meist genau dann, wenn’s grad nix gibt. Ich setze mich neben eine Frau mit kurzen, wirr abgeschnittenen Haaren. Der schwere, schwarze Pelzmantel und die dazu passenden schwarzen Handschuhe unterstreichen ihren leicht verrückten Eindruck. Ein kleiner Junge kommt angerannt und zeigt schuldbewusst den halb abgelösten Absatz seines rechten Schuhs.
    «Guck mal, Mami.»
    «Was hast du gemacht! Die müssen wir sofort wegschmeißen. Wie hast du das bloß wieder gemacht?»
    Als ob er etwas dafür könnte! Der Kleine starrt verzweifelt zu Boden und pult an einem dicken, schmutzigen Pflaster am Daumen. Für immer der Leibeigene seiner Mutter, wird er einmal an schlechtem Gewissen sterben. Ihr Handy klingelt. Sie schaut genervt aufs Display, unschlüssig, ob sie das Gespräch annehmen soll. Nach dem vierten Klingeln verstaut sie es in den Untiefen ihres Mantels, doch es will und will einfach nicht aufhören. Die Leute gucken schon. Der verbitterte, wütende Zug um ihren Mund tritt noch deutlicher hervor. Schließlich geht sie ran. Sie vermag ihre Wut kaum mehr zu unterdrücken:
    «Tim, wenn du dich auch nur ein einziges Mal in mich hineindenken könntest … einmal nur … wenn du es wenigstens versuchen würdest … So, dein Sohn will dich auch nochmal sprechen.» Die Todesursache des Vaters wird ebenfalls schlechtes Gewissen lauten. Lebenslänglich gespannt auf die Folterbank der Schuld, er wird noch sehr viel aushalten müssen. Druck, Sünde und schlechtes Gewissen, das Psychobesteck der Frauen. Wie machen die das bloß immer? Der Junge wechselt ein paar Worte mit seinem Vater, dann reicht er seiner Mutter schüchtern das
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