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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden
Autoren: Ulrike Draesner
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Lehrdienst zu verabschieden, um sich allein ihnen zuzuwenden. Anders als die Wissenschaft seiner Zeit widmete er sich dem lebendigen Tier. Stundenlang harrte er in Sonne, Staub und Wind aus, immer wieder ließ er sich überraschen und verlachen.
    Und der Krieg? Zwei Rekruten nähern sich dem schmalen Weg, auf dem Fabre liegt, um das Brutverhalten der gelbflügeligen Grabwespe zu beobachten. Der Forscher beschließt, den Platz zu räumen: Er will sich nicht dazu befragen lassen, was er hier macht (die Soldaten würden nur eine Falle im Sandweg vermuten), er will auf sein Glück vertrauen.
    Für seine Beobachtungen war er angewiesen auf dieses Glück, die Gunst der Stunde und seine schier unerschöpfliche Geduld. Die Möglichkeit, dieses Verhalten in Natur zu beobachten, kehrte vielleicht nie wieder. Das Glück verließ ihn durchaus – die Rekruten zertraten die Bruthöhle der Wespe –, nicht aber verließ ihn seine Schreibbegabung. Anschaulich, mitreißend, geschult an den griechischen Klassikern erzeugen seine Schriften bis heute Furcht, Mitleid und Identifikation. Ja, sie handeln von Helden: Die sind gepanzert, mit Stacheln bewehrt, Künstler des Fluges, des Angriffs und der kurzen Zeit. Fabres Familie unterstützte den Forscher, mit Darwin stritt er, der Nobelpreis für Literatur wurde ihm 1912 knapp nicht verliehen. Und er? Ließ ein Volk Bienen auf seinem Kopf sitzen und lächelte glücklich darunter hervor.
    Weiterführende Lektüre:
    Alle Bände der Erinnerungen eines Insektenforschers von Jean-Henri Fabre, in der Neuausgabe bei Matthes & Seitz, begleitet von Federzeichnungen Christian Thanhäusers
    Maria Sibylla Merian, Metamorphosis insectorum Surinamensium , Kupferstiche und Texte, Erstausgabe 1705

Thomas Mann
    (1875–1955)

    © argum / Christian Lehsten
    1893 zog dieser tote Bär mit der Familie Mann von Lübeck nach München, verlangte gehorsam in den verschiedensten Wohnungen der Familie dem Besucher die Visitenkarte ab und musste doch in dem letzten Münchner Domizil des Schriftstellers, einer Villa am Herzogpark, zurückbleiben, um heute, ganz sibirischer Braunbär mit trauriger Schnauze, im Münchner Literaturhaus den Zugang zum großen Veranstaltungssaal zu bewachen. Im Februar 1933 waren Katia und Thomas Mann zu einer Reise durch Europa aufgebrochen, von der sie auf Drängen ihrer Kinder nicht mehr nach Deutschland zurückkehrten. 1938 führte ihr Weg sie in die USA. Dort verkörperte der Schriftsteller, so Susan Sontag, den guten Deutschen, der das absolut Böse des Hitlerregimes geißelte und der Demokratie den Sieg prophezeite. Als sie den bewunderten Autor des Zauberbergs als 14-Jährige in seinem Haus 1550 San Remo Drive, Pacific Palisades, Los Angeles, besuchte, nahm sie zunächst nichts wahr als ihn: »Er trug eine Fliege und einen hellen Anzug wie auf dem Titelbild von Essay of Three Decades – und das war der erste Schock, dass er der förmlichen Pose des Fotos so ähnlich war. […] Aber auf dem Foto, das ihn in seiner gesamten Gestalt zeigte, hatte er nicht so schmächtig ausgesehen; das Foto hatte mich die Spärlichkeit des Oberlippenbärtchens nicht sehen lassen, das Weiß der Haut, die altersfleckigen Hände, die unschön hervortretenden Venen, die Kleinheit und die Bernsteinfarbe seiner Augen hinter seiner Brille.« Das Gespräch empfindet Sontag als schwierig, ein Gefühl der Scham begleitet sie. Mann äußert sich auffallend langsam und ohne Eingebung. Sie ist erleichtert, als Katia Mann Tee serviert und tröstet sich mit Keksen über die Enttäuschung hinweg.
    Mann nimmt Sontag und ihren Begleiter als repräsentativ für die »junge Generation«; er kann sich nicht vorstellen, wie ungewöhnlich es für pubertierende kalifornische Schüler ist, sich mit der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs auszukennen.
    Und dass er seinem Foto so sehr gleicht, steif, würdevoll, bis die Besucherin fast glaubt, er spiele sich selbst?
    Die Begegnung fand im Sommer 1947 statt, erst Jahrzehnte später sprach Sontag von ihr. Eine unsichtbare Linie war übertreten worden, eine Lektion wurde gelernt: Das Nicht-Schreibleben eines Autors ist für den Leser seiner Romane letztendlich ohne Belang.
    Weiterführende Lektüre:
    Susan Sontag, »Wallfahrt«, in: Akzente 6/1988, S. 523–546
    Vladimir Nabokov, Interviews und Briefe (reichlich Spott über Thomas Mann), aber auch die Erzählung Der Kartoffelelf , die Manns Erzählung Der kleine Herr Friedemann folgt

James Joyce
    (1882–1941)

    © ullstein bild
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