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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden
Autoren: Ulrike Draesner
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Extremist, versteckter Romantiker. Sprich: wenig versteckt. Stets angezogen davon, »es« auszureizen. Was auch immer »es« sei. So, im Deutschen. In der deutschen Sprache und in ihren Nachbarzungen, aus denen er übersetzt. Extremes, unten und oben, ist gut. Er läuft dem Bären nach, der Nachricht, der Chimäre, dem Bild, dem Ich. Legt Feuer. Zugleich: Rhetoriker. Die Redekunst beherrscht er, verschmäht sie, zieht Risse ein. Verschwindet, erscheint.
    Weiterführende Lektüre:
    Friedrich Hölderlin, Gedichte
    Mark Z. Danielewski, Only Revolutions , übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza

TATEN



WESEN AUS MUSKEL, MAKEL UND MENSCH
    Gedanken zum Helden mit Hilfe des Nibelungenliedes
    Als wäre es ein Computerspiel.
    Es mischt Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Moderne und Archaik, schon als es entsteht. Es bildet Konglomerate, Hybride. Zeitebenen und historisches Wissen in unserem Sinn sind ihm gleichgültig: Alles ist Material, alles wird gemischt. Es liebt Ausstattungen, beschreibt Gegenstände des Schmuckes oder Kampfes, enthält eine Schatzsuche, einen Zwergenstreit, magische Objekte wie Tarnkappe und Balmung, das Schwert, bietet ein Stück road-movie, einen übellaunigen Fährmann, Vorausdeutungen und Wasserfeen. Vor allem aber macht es aus Versatzstücken und Utensilien, Regeln und Rollen gebaute Spielfiguren lebendig: König, Lehnsherr, Kämpfer, Hofstaat, Held. Diese – männliche – Seite ist etwas einfacher besetzt als die weibliche, wenn auch Spiegelsymmetrie hergestellt wird. Dem mythisch-realen Helden Siegfried, gebadet in Drachenblut, steht die mit magischen Kräften ausgestattete isländische Herrscherin Brünhilde gegenüber. Elternlos, wie es sich für eine Heldin geziemt, reich.
    Beide Protagonisten werden entmachtet. Siegfried heißt ›degen‹ und ›helt‹, Sigelindes kühnes Kind. Brünhilde, schön und kräftig, tritt als ›frouwe‹ und Königin auf. Sie verliert, so ist es gesetzt, ihre überfraulichen, ja übermenschlichen Kräfte bei der Entjungferung. Nicht gesetzt: dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Gunther, König der Burgunder in Worms, wirbt um Brünhilde, besiegt sie aber in drei Kampfesproben nur mit Hilfe Siegfrieds und der Tarnkappe. Dabei tritt Siegfried als Lehnsmann Gunthers auf.
    So sind wir mitten im Stoff. Mehrfach täuscht man Brünhilde sowohl über die soziale als auch über die Männlichkeits-Rolle Siegfrieds. Am Ende muss der Recke aus Xanthen sogar noch in Gunthers Hochzeitsnacht helfend beispringen. Er zwingt Brünhilde aufs Bett – und entjungfert sie? Oder bleibt das doch Gunther, dem Ehemann, vorbehalten, der die Szene im Dunkel des Zimmers miterlebt?
    Ir ungefüeges willen,des si ê dâ jach.
der künic iz allez hôrte,swi er niht ensprach.
er druhtes’ an daz bette,daz si vil lûte erschrê;
ir tâten sîne krefteharte grœzlîchen wê. 1
    Der König »hörte es alles«: »swi er niht ensprach« (obwohl er nichts sagte). Der andere, Siegfried, drückte Brünhilde so auf die Schlafstatt, dass sie »vil lûte« (sehr laut) aufschrie, so große Schmerzen fügten seine Kräfte ihr zu.
    Aus Gunthers weiteren Reaktionen möchte man folgern, dass die zwischen den Männern vereinbarten Regeln eingehalten wurden. Im letzten Augenblick schlüpft Siegfried von Brünhilde – und Gunther in sie hinein. Die Symbolebene der Handlung allerdings spricht eine andere Sprache. Sowohl Brünhildes Gürtel als auch ihren Fingerschmuck nimmt Siegfried aus dem Zimmer mit. Den äußeren Schutz um die Jungfräulichkeit, und den kleineren Ring. Also doch alles?
    Die Szene ist großartig: komisch, grotesk, einprägsam, gnadenlos, körperlich. Eine Reihe von Fragen wirft sie auf, vor allem diese: Was sind das für Helden, die hier agieren? König der eine, schwach. Der andere, sagenumwobener Überwinder der Nibelungen, unter einer Tarnkappe versteckt. Verbündet, um Brünhilde niederzuringen, was die Recken selbst zu zweit kaum schaffen.
    Was für Helden sind das?
    Das Nibelungenlied wurde 1755 wiederentdeckt. Bald häuften sich die Versuche, es zum Nationalepos der Deutschen zu erklären. Unter den Nationalsozialisten sollte die sogenannte »Nibelungentreue« Soldaten dazu anhalten, selbst in aussichtslosen Kriegssituationen wie vor Stalingrad bis zum blutigen Untergang zu kämpfen. Nach dem Modell Hagen: Ich sterbe, aber reiße möglichst viele andere mit in den Tod. Heute nennt man so etwas Selbstmordattentat.
    Noch einmal: Was für Helden sind hier
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