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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden
Autoren: Ulrike Draesner
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nach außen, in Handlung, gestülpt. Im zweiten Teil des Epos mutiert Hagen zum »wilden Helden« – er verletzt Regeln, stellt eigene auf, agiert zunehmend fanatisch, verantwortungslos und selbstzerstörerisch.
    Bei Hagen tritt die Heldenfrage am radikalsten hervor. Der Held ist eine Kippfigur. Er strahlt, solange er die Regeln erfüllt, ja, für deren Erfüllung einsteht. Ein Stellvertreter, ein Wir. Übererfüllt er die Regeln, bringt er sich und alle anderen in Gefahr.
    Held: wer im Glanz des Wir erscheint.
    Held: wer abweicht, einer Obsession folgt, einem Traum.
    Held: ein innerer Widerspruch.
    Der Autor, der diese Aspekte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit brillanter Klarheit neu auffassen wird, heißt übrigens Heinrich von Kleist. Kleist, Spross einer berühmten Familie preußischer (hoher und höchster) Soldaten, selbst schlachtenerfahren, bringt mit seinem Prinzen von Homburg das Regelfolgen auf verstörende Weise zur Sprache: als Kern allen Heldentums. Wie das Nibelungenlied bereits weiß.
    Der Held in seinem Glanz
    Die Grundverfassung des intakten Helden zeigt sich exemplarisch zu Beginn des Epos, als Siegfried auf Brautschau von Xanthen nach Worms zieht. Kaum reitet er mit seinen zwölf Begleitern in den Hof der Burgunder, scheint er vollkommen zu vergessen, warum er kam. Er fordert Gunther zum Kampf, will alles besitzen, stellt sein Erbe als Preis gegen das des anderen. Ein Sieg brächte ihm vielleicht auch die auserwählte Frau ein; das Lied allerdings erwähnt Kriemhild nicht mehr. Hier greift ein anderes Muster: der Held als Eroberer.
    Als Ausstattungsphänomen: Recken, Muskeln, Mundwerk.
    Als Kompositfigur: Pferd, Decke, Rüstung, Schwert.
    Als Kreuzungspunkt immenser Emotionen: Siegfried braust ohne Anlass auf.
    Lügt er? Warum sagt er nicht, was er will?
    Er lügt nicht. Er sagt, was er will.
    Hat er vergessen, dass er Kriemhilds wegen kam?
    Nein. Es ist alles eins, ist ungeschieden: Territorium und Frauenerwerb gehören untrennbar zusammen.
    Das Nibelungenlied erzählt von der Affenhorde Mensch. Seine Helden sind schon lange von den Bäumen gestiegen, aber aus heutiger Sicht noch etwas wenig ausdifferenziert (wobei Territorium reklamieren, Eindruck schinden und Frauenerwerb weiterhin fröhlich Hand in Hand gehen). Das Nibelungenlied erzählt von der Genese von Kultur.
    Wie blutig sie sich vollzieht.
    HELD ist die Mischung einer archaischen Kraft-Kampf-Vorstellung mit einem kulturell »raffinierten« Konzept.
    Er tritt als Zocker auf, begleitet von einem magischen Schwert und den Accessoires eines unsichtbaren Zwerges, Alberich, der den Schatz der Nibelungen hütet.
    Er braucht jemanden, der ihn erkennt.
    Am Wormser Hof kommt Hagen diese Rolle zu. Er beobachtet Siegfried, ordnet ihn ein. Das Wort steigert die Macht des Helden, nun hat man Angst vor ihm.
    Der nächste Schritt: ein kultureller Mechanismus wirkt. Mit Worten bremst man den Mann. Gunther handelt, unterstützt von seinen Brüdern, königlich-pragmatisch und schützt das Leben der Menschen an seinem Hof. Der Kampf wird nicht aus-, sondern als Ritterspiel aufgeführt. Man bindet Siegfried ein, betreibt kluge Freundschaftspolitik.
    Nachdem die Koppelung Vermehrung/Kampf auf Gunthers Weise suspendiert ist, kehrt Siegfrieds höfisches Wesen wieder. Er denkt an Kriemhild und wie er sie für sich gewinnen könnte. Die höfische Minne funktioniert als kulturelles Mittel der Zähmung und Anstachelung. Sie ist auf standesgemäße Heirat, Nachkommenschaft und Sicherung der Herrschaft gerichtet.
    Siegfried hat sich selbst mit magischen Kräften ausgestattet: Tarnkappe und Schwert Balmung erwarb er sich im Kampf mit den Nibelungensöhnen Schilbung und Nibelung. Auf diese Heldengeschichte wird im Nibelungenepos nur angespielt, der Erzähler setzt sie als bekannt voraus. Sie ist aufschlussreich, weil in ihrem Zentrum ein Versagen steht. Nach dem Tod des Nibelungenkönigs hatten dessen Söhne Siegfried um Hilfe bei der Erbteilung gebeten. Siegfried forderte das Schwert im Voraus als Lohn, erhielt es und scheiterte an der Teilung. Ein Streit entbrannte, in dessen Verlauf er praktischerweise die beiden Erben mit dem neuen Schwert tötete und Alberich, den schatzhütenden Zwerg, in seine Dienste zwang. Er übernahm die Herrschaft über das Reich, steckte Tarnkappe und Schwert ein, zog zurück nach Xanthen. Dort stellt ihn uns das Nibelungenlied als jugendlichen Mann vor, schön, in der Blüte seiner Kräfte, begleitet von Mutter und Vater, die das
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