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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Autoren: Angelika Meier
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Wäscheleine nimmt und anzieht, weil unser idiotischer Nachbar, Dr. Erleking, schon seinen Posten bezogen hat. Ich mache ein paar steif verwackelte Sonnengrüße, werfe mich dann auf den Liegestuhl und hoffe, dass Esther zu mir kommt, aber sie bleibt mit verschränkten Armen vor meinem Fußteil stehen, schaut mich verzagt seufzend an und fragt dann leise:
    »Was sollen wir denn … was willst du denn jetzt tun?«
    »Wie?«
    »Na, du müsstest zur Arbeit jetzt, willst du … soll ich anrufen und dich krank …«
    »Nein, ich geh nicht mehr hin. Wir werden noch heute weggehen.«
    »Weggehen?«
    »Ja, würdest du mir bitte aus der Sonne … komm lieber her!«
    Sie tritt mechanisch auf die Seite, legt sich aber nicht zu mir, sondern schüttelt unwillig oder eher ungläubig den Kopf:
    »Wie denn weggehen? Wohin denn?«
    »Na, raus aus der klinischen Welt. Wir werden nachher nach Jalta fahren und von dort aus ein Schiff Richtung Bosporus nehmen, und wenn wir das Schwarze Meer passiert haben, sehen wir weiter. Jetzt komm endlich her.«
    Ich knöpfe mir das Hemd auf, verschränke dann, glücklich in die Sonne blinzelnd, die Arme hinterm Kopf.
    »Oh Gott!« Esther starrt mir entsetzt auf die Brust. »Was ist das?«
    »Was?« Doch ich schaue vor Schreck gar nicht hin, sondern schlage mir hastig die Arme über Kreuz auf die Brust wie eine kokette Kokotte oder wie ein fantasieasiatischer Diener, im Begriff sich viel zu schwungvoll zu verneigen, oder wie ein russisch unorthodoxer Priester bei der Einsegnung des stinkenden Leichnams des abtrünnigen Starez oder wie Kleopatra mit ihren hochmütig gekreuzten Schlangenstäben oder wie die noch hochmütigere Mumie Tutanchamuns oder wie … wie … wie … wie soll ich ihr das bloß…? Aber Esther zerrt mir mit aller Kraft, und als die nicht reicht, aller trickreich fingerbiegenden Gewalt meine Arme, meine armen, meine arme Schuld schützenden Arme weg und schlägt sich dann die Hände vor den Mund:
    »Es tut mir so leid!« Sie heult auf wie ein getretener Hund. »Es ist meine Schuld, dass du das wieder machst!« »Nein, ist es nicht. Es hat gar nichts mit dir zu tun. Mir war nur anders nicht beizukommen.«
    »Hast du das jetzt gerade im Schlaf gemacht?«
    »J-ja, ich nehm’s an.«
    »Die Blutkruste sieht so seltsam … wie weicher Teer … oh Gott, man kann richtig sehen, wie du die Fingernägel da reingeschlagen hast, so tief, das sind ja keine Kratzer mehr, das … der eine da, der da quer über deine Narbe, schneidet richtig tief ins Fleisch, richtig …«
    »Richtig, richtig, richtig – ist gut jetzt, mach nicht so ’ne große Sache …«
    »Aber …«, in ihren Schrecken mischt sich plötzlich misstrauisches Unverständnis, »davon musst du doch wach geworden sein, du kannst dich doch nicht so zurichten, ohne davon –«
    »Wie auch immer, es ist vorbei«, ungelenk versuche ich, mich wieder zuzuknöpfen und lache nervös auf, »und deshalb wollen wir jetzt mal das Hemd des Schweigens darüber …«
    »Nein, wollen wir nicht«, unerbittlich ernst schaut sie zu mir herab und verschränkt zusätzlich wieder die Arme, um unmissverständlich klarzustellen, dass sie nicht mit sich verhandeln lässt. »Wenn wir wirklich weggehen wollen, gibt es keine schönen weißen Hemden mehr.«
    »Mhm.«
    Mehr ist beim besten Willen nicht aus mir rauszubekommen, und so bemühe ich mich, wenigstens nachdrücklich zu nicken, scheine dabei aber eher jämmerlich auszusehen, denn mitleidig spöttisch lächelnd legt sie sich seitlich zu mir auf den schmalen Liegestuhl, schiebt ihr angewinkeltes Bein quer über meine Oberschenkel, und mit einem lauten erleichterten Seufzer greife ich nach ihrem Knie, ziehe es zu mir hoch an meinen rechten Hüftknochen, halte mich daran fest und nehme all meinen mickrigen Mut zusammen:
    »Esther, ich muss dir was sagen. Was Schlimmes. Ich habe kein Herz mehr. Jedenfalls kein richtiges …«
    Augenbraue an Augenbraue liegen wir da, ängstlich halte ich die Luft an, aber auf einmal breitet sich still ein grünes Strahlen auf ihrem Gesicht aus, so hell, wie ich es Ewigkeiten nicht gesehen habe.
    »Du hattest noch nie eins, Franz«, sie küsst mich auf den Mundwinkel, »und das macht nichts. Die Dinge bahnen sich ihre Wege auch anders.«

52.
    Wie schön ist es, ohne Gepäck zu sein! Nur die kleine Tasche hängt an meiner Schulter, die gleiche, die wir schon vor sechs Wochen bei unserer zweitägigen Ausflucht nach Jalta dabei hatten, als wir sicher waren, wir sähen es zum
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