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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Autoren: Angelika Meier
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des Gebäudes zwar noch immer der breite Boulevard ist, der er seit Jahrhunderten ist, aber nicht mehr als Promenade genutzt wird. Anders als auf der Hafenvorderseite gibt es auf der Rückseite keine Cafés, Sonnengruß- und Thalassoflächen, und so streunen hier nur noch vereinzelte Patienten herum, und Hafenangestellte sind auch nicht zu sehen. Unwillkürlich werden wir etwas schneller, bis wir die schattige Stille durchschritten haben, laufen dann wieder heiterer auf dem sonnigen Quai um das hellgraue Gebäude herum, und auf dem Promenadenplatz angelangt steuert Esther uns zielstrebig auf die hohe Schalterhalle zu, die uns durch ihre großzügige Glasfront völlige Einsicht gewährt. Vor der Drehtür angelangt sage ich leichthin:
    »Wir müssen uns ja nicht beide anstellen. Warte doch hier und guck dir die Schiffe an, während ich die Tickets hole.«
    »Sieht nicht so aus, als müsste man sich anstellen«, sie schaut halsreckend über meine Schulter in die Halle. »Ich kann es auch machen.«
    »Nein nein«, jetzt nicht die Stimme heben, »ich mach schon, warte hier.«
    »Ist gut, dann geh ich kurz zu McDonald’s rüber, pinkeln.«
    »Na schön, aber komm so schnell wie möglich zurück. Nicht länger da bleiben, ja?«
    »Nein, natürlich nicht. Was ist denn los?«
    »Nichts, ich will nur nicht, dass du zu weit weg gehst, will dich nicht anrufen müssen, kann ja immer mal sein, dass die Verbindung plötzlich nicht mehr funktioniert«, sie schaut erschrocken und ich versuche zu lächeln. »Ich rede Blödsinn, vergiss es. Bis gleich!«
    Und schon setze ich auf dem Türkarussell hinüber in die diskret klimatisierte und trotz des nackten, matt grünlichschwarzen Schieferfußbodens sonderbar gedämpfte Atmosphäre der Halle. Ach so, Kunststein, daher die angenehme Akustik. Nur drei der etwa zwei Dutzend Schalter sind geöffnet, es ist tatsächlich so gut wie nichts los hier. Ich entscheide mich für den mittleren Schalter und muss kaum fünf Minuten warten, weil nur ein einziger Mann vor mir an dem Schalter steht.
    Der Schalterangestellte, ein für sein mittleres Alter auffallend gebeugter Mann mit dichtem, störrischem und daher mühevoll sorgfältig gekämmtem dunklem Haar, dem goldenen Schild an der Brusttasche seines kurzärmeligen weißen Hemdes nach ein Dr. Tomari, blickt, murmelnd meinen Gruß erwidernd, routiniert nicht auf und verarbeitet an seinem Rechner wahrscheinlich noch den letzten Klienten, während er sich von mir durch das ovale, von weißen Birkenstäben und Glas eingefasste Sprechloch seines Schalterkastens sagen lässt, was ich will. Erst jetzt, da ich mein Sätzlein zu Ende gesprochen habe, hebt er abrupt und leicht zurückfedernd den Kopf, nimmt seine Lesebrille ab, zeigt mir so die tiefeingeprägten Ringe unter seinen Augen und schaut mich verständnislos an:
    »Wie meinen Sie das, ein Ticket für zwei Personen für die Fähre nach Istanbul?«
    »Na … ziemlich genau so, wie sich’s anhört: Ich möchte ein Ticket für zwei Personen für die …«
    »Sie wollen raus? Raus, nicht rein?«
    »Ja, genau.«
    »Ihr Status?« Verwirrt mustert er mein hellblaues Hemd. »Arzt oder Patient?«
    »Arzt.«
    »Und der Status der zweiten Person?«
    »Weder noch. Ich meine: nichtklinisch .«
    »Verstehe. Dann also raus.«
    »Genau.«
    »Dann will ich mal sehen, wo ich hier so was finde«, er setzt seine Brille wieder auf, beugt sich über den Rechner und murmelt mit herabgezogenen Mundwinkeln eher sich als mir zu: »Hm, ich hab gar keine passende Maske, ich weiß immer nicht, wie die Kollegen so was …, na, müssen wir improvisieren … hmhm.«
    Ich werde nicht mit den Fingern auf die Schaltertheke trommeln, ich werde es nicht tun, egal wie lange er braucht, und ich werde auch nicht ungeduldig vor mich hin schnaufen … Aber da nickt er mir schon freundlich zu:
    »So, da haben wir, was Sie wollen, der Arzt ist schließlich König«, er schiebt mir lächelnd zwei große grüne Billets rüber, »zwei Tickets für die Fähre nach Istanbul.«
    »Vielen Dank. Was macht das?«
    »Nein nein«, Dr. Tomari hebt abwehrend die Hände, und plötzlich bilden sich zwei tief lächelnde Grübchen in seinen blauschattigen Wangen. »Raus geht aufs Haus!«
    »Oh, recht herzlichen Dank!«
    »Nicht doch. Jeder, der geht, ist uns willkommen.«
    Der nachgiebige Kunstschieferboden schluckt den festen Auftritt meiner gemessen geschäftigen, nicht zu eiligen Schritte. Und da spuckt die Drehtür mich schon zurück ins Freie aus und
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