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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Autoren: Angelika Meier
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Minute lang, obwohl so gut wie nichts auf diesen grünen Lappen steht. Esthers Brustkorb bleibt ängstlich unter ihrem angehaltenen Atem gehoben, aber da schaut der Steward wieder zu uns hoch, lächelt professionell liebenswürdig und teilt uns in viril schnurrigem Tonfall mit, dass der Kapitän bereits über den Lotsen von Dr. Tomari darüber informiert worden sei, dass die Fähre heute mal wieder mit zwei Passagieren rausfährt, heißt uns im Namen des Kapitäns herzlich willkommen an Bord der Chance II und lädt uns in selbigem Namen dazu ein, nach oben auf die Brücke zu kommen und uns das Ablegen vom Ruderhaus aus mit anzusehen. Steif nickend bedanken wir uns, steigen dann hinter ihm die Außenleitern zum Brückendeck hoch, und dabei ist meine Aufmerksamkeit ganz unter Esthers kurzes Sommerkleid gerichtet, sodass ich dem unausgesetzten Gerede des Stewards erst oben angelangt wieder halbwegs zuhöre.
    »… durchaus als Ehre ansehen. Der reguläre Patient bleibt schließlich unten an Deck. Wenn er Glück hat, darf er ganz vorn in der Bugspitze stehen, sich an der Reling festhalten und aufs Meer schauen, was ja auch ganz schön ist. Da steht er, hält die Nase über dem Bug in den Wind und freut sich darüber, dass niemand weiter vorn steht als er. Aber freilich sieht er so nichts vom Schiff und im Grunde genommen auch nichts vom Meer. Er merkt schon, dass er eigentlich nichts sieht, aber es will ihm trotzdem nicht in den Kopf, dass er da vorn einen schlechten Stand hat. Da ist der Blick hier vom Brückendeck hinab auf den Bug und über ihn hinaus doch etwas ganz anderes, wie?«
    Er lässt seine Hand in einem Halbkreis über dem Geländer schweifen, und höflich schauen wir über die Kaskade der drei Zwischendecks hinab auf die leeren, hellen Deckplanken im Bug.
    »Und Sie beide wollen also raus? Nach Istanbul. Und dann? Wie … wohin soll’s dann weitergehen?«
    »Das wissen wir noch nicht«, Esther antwortet zum Glück in aller
    Ruhe für uns beide, derweil mir noch vom Blick auf das blankgescheuerte Bugdeckdreieck schwindelt. »Weiter nach Süden wahrscheinlich, vielleicht auch Richtung Osten.«
    »Natürlich. Das antworten die Leute, die wir mit rausnehmen, immer. Soll ich Ihnen von dem Paar erzählen, das wir letzten Monat an Bord hatten?«
    »N-nein, ich glaube nicht. Nein, das interessiert uns nicht.«
    »Natürlich nicht. Aber Sie wissen schon, was da draußen los ist?«
    Esther zuckt arrogant die Achseln:
    »Nein, könnten wir nicht behaupten. Genauso wenig wie Sie.«
    »Ins völlig Offene wollen Sie also«, er zieht in jovialer Anerkennung die Mundwinkel herab und hält uns die Seitentür des Ruderhauses auf. »Na, dann kommen Sie mal. Der Kapitän wird Ihnen alles erklären.«
    Unschlüssig tritt Esther über die hohe Schwelle ins Steuerhaus und ihr folgend blicke ich flüchtig über die Schulter zurück und stelle fest, dass wir schon längst ausgelaufen sind. In der Mitte des niedrigen, eichengetäfelten Kommandoraums steht ein weißhaariger, untersetzter Mann mit breitaufgestützten Armen und hängendem Kopf tief über den Kartentisch gebeugt. Es sieht aus, als würde er ein kleines Nickerchen im Stehen halten, doch auf das dunkle Räuspern des Stewards hin, mit dem dieser uns ankündigt und sich selbst gleichzeitig zurück aufs Hauptdeck empfiehlt, richtet er sich augenblicklich kerzengerade auf, kommt mit einladend breitem und hohem Lächeln auf uns zu, sodass sich seine blaurotgeäderten Wangen unter seinen gutmütig wässrigblauen Augen zu zwei kreisrunden Bäckchen zusammenziehen, gibt uns charmant zerstreut seine etwas schlaffe Rechte und stellt sich als Kapitän Dr. Beaufort vor. Nach einem einleitend geseufzten Tja, also das hier ist das Ruder- oder auch Steuerhaus beginnt er, uns sein Reich vorzustellen.
    Sein Tonfall ist ebenso wässrig wie seine Augen, ganz anders als das resonanzsüchtig sonore Geschnurr seines Stewards, und so plätschert seine dünne Rede gutmütig über Mark und Bein hinweg, und Esther lässt, obwohl der Rest der Besatzung, zwei auf Drehhockern vor ihren Monitoren sitzende Männer und ein dritter, der mit gehobenem Fernglas reglos an der hübsch haifischmaulartig nach innen gerichteten Fensterfront steht, uns grußlos den Rücken zukehrt, entspannt ihre Schultern sacken, dreht suchend den Kopf im Raum herum und fragt den Kapitän zutraulich:
    »Und wo ist das Steuerrad?«
    Er lacht gerührt auf:
    »Es gibt keins, mein Kind. Jedenfalls nicht so eins, wie Sie es sich
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