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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Lagerverwaltung alles Gewünschte erhielt, und verließ wieder die Küchenbaracke, um am Rande des Stationslagers das Indianerzelt aufzusuchen, das Top und Harry als Behausung diente.
    Henry schlüpfte durch den Zelteingang hinein. Er traf Harka an, der sich offenbar auf seiner Büffelhautdecke ausgestreckt gehabt hatte, jetzt aber den Hereinkommenden schon wieder stehend begrüßte. Henry, fünfundzwanzig Jahre alt, war um einen Kopf kleiner als der lang gewachsene siebzehnjährige Indianer. Der junge Ingenieur hatte sich sonst nicht mehr viel um den Kundschafter gekümmert. Er hatte ihm hin und wieder ein Buch verschafft, wenn Harry sich im Lesen üben wollte, und er hatte ihm Landkarten besorgt im Austausch gegen Felle. Aber das waren äußerliche, versachlichte Beziehungen geblieben. Jetzt, am letzten Tag, den Henry in der Prärie verbrachte, schaute er den Indianer etwas aufmerksamer an. Das Gesicht dieses Burschen war nicht das eines jungen Menschen. Die gut ausgebildete Stirn, die gebogene Nase und die gesamte Knochenbildung traten überdeutlich hervor, da das Gesicht mager war. Die Augenlider blieben immer gesenkt bis auf einen schmalen Spalt, der dem Sehvermögen, aber keinem Ausdruck Raum gab. Henry fühlte sich diesem jungen Mann gegenüber fremd. Die ungeklärten Vorstellungen und Gerüchte, »bester Kundschafter« oder »Verräter«, »Lebensretter« und »Brudermörder«, konnte der Jungingenieur in seine mehr flächenhafte als tiefe Denkweise und in seine plätschernden Gefühle nicht einordnen; er fand keinen Kontakt zu Harry.
    »Joe Brown lädt dich und deinen Vater zu der Abschiedsfeier heute nacht ein. Diese Feier gilt als Dienst«, sagte er in etwas schnoddrigem Ton. Der Indianer ging auf diesen Ton nicht ein. Er sprach kurz und gemessen.
    »Im Dienst trinke ich nicht. Ich trinke überhaupt nicht. Es wird also Ärger geben, wenn ich komme, aber wenn Joe Brown es so haben will, werde ich da sein ­ falls auch mein Vater es wünscht.«
    »Wann kommt denn Top zurück?«
    »Abends.«
    »Gut! Wir erwarten euch, sobald der Zug glücklich eingelaufen ist.«
    Henry ging lieber wieder hinaus, als er hereingekommen war. Er hatte nicht nur wenig Sympathie für Harry. Er hatte auch im Hintergrund des Zeltes ein Wesen sitzen sehen, vor dem ihm graute. Es schien eine Indianerin zu sein. Vielleicht war sie alt, vielleicht war sie noch jung. Ihr Gesicht wirkte weder menschlich noch unmenschlich; es wirkte außermenschlich. Ohren und Nase waren ihr abgeschnitten, die alten Wunden waren ungepflegt vernarbt. Ihre Wangen waren eingefallen, ihre Hände waren mager. Sie saß im Hintergrund wie eine Holzfigur, mit schwarzem Baumwolltuch verhängt. Der Ingenieur schüttelte sich unwillkürlich, als er das Zelt verlassen hatte.
    Harry hatte ihn auch nicht ungern verschwinden sehen. Der junge Indianer legte sich nicht wieder hin, sondern hockte sich auf seine Büffelhautdecke und überlegte.
    Als er mit sich ins reine gekommen war, verließ er das Zelt und ging zum Basar. Der Basar war ein einfacher Verkaufsstand, der in einer Baracke mit einem Schiebefenster eingerichtet war. Die Waren wurden in Kommission und sehr teuer verkauft. Da es keinen anderen Laden gab, drängten sich trotzdem die Kunden. Harry wartete mit gleichgültiger Geduld, bis alle, auch solche, die nach ihm kamen, bedient waren, verlangte dann das Quantum Pfeifentabak, das er stets zu kaufen pflegte, und zahlte mit kleiner Münze, die er einem indianisch gestickten Lederbeutel entnahm. Der Geldbeutel war auf der Innenseite zur Hälfte grün, zur Hälfte rot gefärbt.
    Der Indianer hielt den geöffneten Beutel so, daß die Verkäuferin die grüne Seite sehen mußte. Das war eine stumme Frage, und die Verkäuferin, ein Indianermischling, jung, schwarzhaarig, braunhäutig, zeigte die Kette ihrer weißen Zähne, lachte und sagte im Dakotadialekt: »Die Großmutter hält die Ohren offen. Abends geht sie mit ihrem Enkel Wasser holen.«
    »Eh, klappt das Stelldichein?«
    Harry hörte diese Frage hinter sich und erkannte auch sofort die Stimme. Das war Mackie.
    »Warum? Wolltest du das Mädchen haben?« fragte er zurück.
    »Nein, nein, habe mit Mestizen nichts im Sinn. Freut mich nur, daß du endlich irgendwo anbeißt.«
    Der junge Indianer lächelte ironisch, aber so, daß der andere es nicht sah, und ging.
    Er brachte seinen Tabak ins Zelt, gab ihn der verstümmelten Indianerin zum Aufbewahren, rauchte eine Pfeife und legte sich dann wieder schlafen. Bis zum
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